- 50 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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Auch wenn von daher Pärts eigene Aussagen mit Vorsicht zu gebrauchen sein sollten, kann das von Pärt und von anderen geschriebene Wort von Bedeutung sein, sofern man es ins Verhältnis zu musikalisch-technischen Befunden setzt. Beides zusammen kann dann einen Schlüssel zur Erklärung jener gesellschaftlichen Tatsächlichkeit bilden, die nicht nur in Pärts Musik und ihrer Relation zur Person und zur Geschichte, sondern auch in sprachlich formulierten Interpretationen - Dokumenten der durch Rezeption vollzogenen Seinsweise der Musik - zum Ausdruck kommt.

Eine dieser Tatsächlichkeiten dürfte in der Form des Widerstands zu sehen sein, den Pärt dem Treiben um ihn und seine Musik entgegensetzt. Zwar scheint dieser Begriff mit seiner kämpferisch-aktivistischen Konnotation zu einer Musik der Stille bzw. zu einem Komponisten nicht recht zu passen, der "[...] mit Liebe an das Schweigen herangeht"(Pärt bei Mattner 1985, 99). Aber selbst wenn diese Haltung eher auf Ergebenheit und Demut verweist, so steht ihr Inhalt doch im Gegensatz zur Haupttendenz unserer Zeit, zum Aktionistischen, Lauten, Impulsiven, Getriebenen. Insofern kann sie in ihrer fast asketischen Geste der Abwehr als Zeichen des Widerstands gegen die Vereinnahmung durch zeitgenössische Zivilisation verstanden werden. Daß gerade diese Geste Veranlassung dafür war und ist, Pärt und seine Musik nicht nur zum Zentrum einer eigenen Kult-Gemeinde, sondern auch zum Gegenstand kategorial unterschiedlichst orientierter Darstellungen werden zu lassen, gehört zu den Ironien eines Schicksals, das wohl jeder zu erdulden hat, der sich den Gegebenheiten der aktuellen Formen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht ganz entzieht.

Nun sind Zurückgezogenheit und Stille keineswegs Eigenschaften, die Pärts gesamtes vorliegendes Œuvre auszeichnen. Aber auch für dessen Einschätzung dürften die Begriffe Assimilation und Widerstand - nun gewendet auf die Relation zwischen Werk und dessen Interpretation - ihre Tragfähigkeit erweisen. Dabei gerät das Problem einer Interpretation in den Blick, die sowohl der Musik als auch ihrem Urheber, sowohl dem Einzelwerk als auch dem Gesamtschaffen gerecht werden will. Ist es eine Assimilation an die konventionelle Vorstellung der Identität eines Komponisten mit dem einen Œuvre, wenn wir von seinem Schaffen als einem innerlich zusammenhängenden sprechen, eine Assimilation, die in dem Maße als unzulässig zu bezeichnen wäre, wie man konzediert, daß die Erscheinungsweise von seriell organisierten, neoklassizistischen, am Prinzip der Collage orientierten Stücken einerseits, ganz anderen Werken im Tintinnabuli-Stil andererseits dem Gedanken der Kontinuität Widerstand leisten? Oder ordnen wir umgekehrt ein Werk, das insgesamt auf ein und dasselbe Bestreben zurückgeht, mit der Vorstellung heterogener Schaffensphasen unberechtigterweise der Idee unter, daß unterschiedliche Produktionsbedingungen und -voraussetzungen - auch inhaltlicher, nicht nur politisch-gesellschaftlicher Art - notwendigerweise heterogene Musik hervorrufen müsse? Anders gefragt: Ist es eine Assimilation der Phänomene an den Gedanken des Zusammenhangs von Person und Werk, wenn wir die Unterschiede der beiden Schaffensphasen mit Blick auf die jeweiligen biographisch-kontextuellen Bedingungen hervorkehren, statt gegen den Widerstand der Phänomene ihre Einheit als unterschiedlich ausgeprägte Stationen einer Entwicklung zu betonen? Wichtig sind diese Überlegungen insofern, da sie einen Weg zur Stellungnahme zu den durchaus


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