- 43 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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Kanon geführt wird. Was Augustinus über die Dehnung der Zeit (bei der Rezitation eines kurzen Verses) sagte, mag hier ebenso zutreffen. Man hört die Struktur nicht, aber sie ist doch denkbar einfach und leicht in den Noten zu erkennen. So hat jedes der Stücke einen bestimmten Bauplan, der es zum einmaligen Hörereignis macht.

4.6  Mehrfache Ausführung

"Für mich liegt der höchste Wert der Musik jenseits ihrer Klangfarbe. Ein besonderes Timbre der Instrumente ist ein Teil der Musik, aber nicht der wichtigste. Das wäre meine Kapitulation vor dem Geheimnis der Musik. Musik muß durch sich selbst existieren [...] zwei, drei Noten. Das Geheimnis muß da sein, unabhängig von jedem Instrument. Der Gregorianische Gesang hat mir gezeigt, daß hinter der Kunst, zwei, drei Noten zu kombinieren, ein kosmisches Geheimnis liegt."(Pärt zit. n. Danuser 1990, 269) Deshalb auch die vielen Ausführungen mancher Stücke, wie es z.B. bei Summa der Fall ist. Es ist vielleicht auch der Versuch, zu eruieren, ob das Instrumentalgewand das vorgestellte Geheimnis erfüllt.

4.7  Vom Kern aus komponiert

Für diese Methode gilt im Prinzip das gleiche wie für die anderen Punkte. Vom Kern aus komponiert heißt, daß nichts anderes als die Töne des zu Anfang etablierten Motivs im ganzen Stück auftauchen darf. Die Variationen zur Gesundung von Arinuschka ist ein Beispiel dafür. Das dreitönige Motiv des Anfangs wird so verändert, verdichtet, umgekehrt, daß es immer etwas Neues darstellt. Das ist die genaue Verwendung des Materials.

4.8  Zeit - Stille

Pärt hat z.T. Material aus der Zeit Augustinus' entnommen: z.B. Gregorianik (Skalenabschnitte und Dreiklänge), polyphone Gesetze (die ideale Polyphonie ist das unaufhörliche Gebet), Zahlenmystik. Er hat die Funktionsharmonik weggelassen und ein neues System des vertikalen Zusammenklangs gefunden. Er legt vergleichsweise wenig Wert auf die Klangfarbe. Er schreibt kurze Stücke, und jedem Stück liegt ein anderer Bauplan zugrunde. Ausnahme sind die Werke, denen Text zugrundeliegt (Passio, Kanon Pokajanen). Jegliche Dramatik geht den meisten seiner Werke ab. Er hat jede Verzierung und jede Ornamentik (siehe Variationen zur Gesundung von Arinuschka) ausgelassen, es ist pure Musik, die er schreibt. Pausen sind Ruhepunkte. "Somit gehört Stille wesenhaft zur Pause. Die Stille bezeichnet das Wesen der von uns gemeinten Pause. Die Pause ist wie die Form und die Stille wie der Gehalt oder wie die Kraft, die fähig macht, den gemeinten Gehalt in diese Form, in diese Gestalt einzusammeln, hereinzuholen, zum Eintritt zu bewegen."(Melzer 1959, 9) Es sind die vestigiae, die die Seele in sich trägt und die an die Oberfläche geraten; Pärt ruft die Zeit in Erinnerung, die ganz nahe an der Ewigkeit war, auf Grund der Werke.

Warum geht Pärt so weit in die Musikgeschichte zurück, warum entkleidet er seine Musik jeglichen Materials unserer Jahrhunderte? Er hat ein christliches Bild in sich, das er realisieren möchte. Und bei Augustinus heißt es, die Zeit gehe durch die Seele. Diese Vorstellung ist sofort da, wenn man Pärts Musik hört. Die memoria,


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