4.2 Keine Funktionsharmonik - neue musikalische GesetzeDer Wegfall der Funktionsharmonik gibt der Musik eine unbegrenzte Weite, bindet sie nicht an die Gesetze von T, D und S. So brauchen auch keine Mehrklänge dieser Art gebildet zu werden. Trotzdem hat Pärt ein System gefunden, das als ein Ersatz für die Funktionsharmonik gelten kann. Er erläutert es an den ersten zwei Takten des Kyrie der Berliner Messe.Älso, wir nehmen einen Zentralton für dieses Werk, ein G, und beginnen mit der Altstimme. Das erste Wort nimmt seinen Anfang beim Zentralton und geht silbenweise nach unten: Ky-ri-e (genauer: Ky-y-ri-e). Das zweite Wort hingegen kommt in vier Silben von oben zum Zentralton. Wenn es fünf Silben wären, dann müßte der Anfangston ein es sein. Und so ist auch die zweite Reihe in der Altstimme gebaut. Also das ist eine Linie. Dann kommt eine zweite Linie im Sopran. Diese steht in einem bestimmten Zusammenhang mit der Alt-Linie. Das Tonmaterial in Takt 3 besteht nur aus Dreiklangstönen, ebenso das Tonmaterial der Sopran- und der Tenorstimme in Takt 5. Aber die Anordnung der Dreiklangstöne ist nicht zufällig, sondern beruht auf einer Regel. Ich sehe hier eine Einheit von Alt- und Sopranstimme: Der erste Ton, d¢¢¢, von Eleison hat einen unteren Begleitton und zwar den G-Moll-Dreiklangston, der ihm am nächsten steht (b). Der zweite Ton, c¢, hat einen oberen Begleitton, aus dem Material des G- Moll-Dreiklangs (d), der dritte wieder einen benachbarten unteren Begleitton usw."(Pärt zit. n. de la Motte-Haber 1998, 233) So sucht Pärt ein neues Gesetz, das die Skalentöne aneinander bindet, ihrer Tonalität entsprechend, und die Dreiklangstöne mit in diese Bindung einbezieht. 4.3 ZahlenmystikDie Zahlenmystik ist ein beliebtes Spiel in der frühen polyphonen Musik und wird bis heute in der Musik angewendet. Summa ist als Beispiel gewählt worden. Bei Brauneiss kann man die versteckten Zahlen nachlesen. Pärt steht der Zahlenmystik sehr skeptisch gegenüber. Er sagt, daß sie eigentlich nicht notwendig ist, aber die Komposition auf eine unsichtbare Weise zusammenhält.4.4 Vorrang der Vokalmusik, Rhythmik vom Wort herGregorianik ist Vokalmusik, sie kennt die syllabische und die melismatische Vertonung der Worte. Pärt bevorzugt die syllabische Vertonung. Er bestimmt die Rhythmik vom Wort her. De profundis ist ein Beispiel für die syllabische Vertonung des Textes.4.5 Kürze der StückeDie Kürze der Stücke ermöglicht es, das Ganze der Musik im Gedächtnis zu behalten. Es kommt nicht darauf an, eine reiche Entfaltung in einem Stück zu erleben (die fehlende Modulation verhindert ja eine durch mehrere Tonarten gehende Verarbeitung der Motive), sondern in einem Stück etwas auszudrücken, was dem Hörer Zugang zu einer anderen Welt (Ewigkeit) geben soll. Cantus in memory of Benjamin Britten ist durch Auf- und Abbau einer einzigen a-Moll-Reihe gebildet, die im |