- 38 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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wörtlich, so kann man erahnen, was mit Zeit gemeint ist. Vor allem die Töne sind rar, der Satz ist ganz dünn; wir finden hier keine Funktionsharmonik. Auffällig ist die Kürze des Stückes. Pärt hat sich selbst einmal über den Tintinnabuli-Stil geäußert.

"Tintinnabuli-Stil, das ist ein Gebiet, auf dem ich manchmal wandle, wenn ich eine Lösung suche, für mein Leben, meine Musik, meine Arbeit. In schweren Zeiten spüre ich ganz genau, daß alles, was eine Sache umgibt, keine Bedeutung hat. Vieles und Vielseitiges verwirrt mich nur, und ich muß nach dem Einen suchen. Was ist das, dieses Eine, und wie finde ich den Zugang zu ihm? Es gibt viele Erscheinungen von Vollkommenheit: alles Unwichtige fällt weg. So etwas Ähnliches ist der Tintinnabuli-Stil. Da bin ich alleine mit Schweigen. Ich habe entdeckt, daß es genügt, wenn ein einziger Ton schön gespielt wird. Dieser eine Ton, die Stille oder das Schweigen beruhigen mich. Ich arbeite mit wenig Material, mit einer Stimme, mit zwei Stimmen. Ich baue aus primitivstem Stoff, aus einem Dreiklang, einer bestimmten Tonalität. Die drei Klänge eines Dreiklanges wirken glockenähnlich. So habe ich es Tintinnabuli genannt." (Pärt zit. n. Sandner 1984)

3.2  Variationen zur Gesundung von Arinuschka (1977)

Das Klavierstück stammt aus dem Jahr 1977. Die sechs Variationen über ein dreiteiliges Motiv sind sehr viel kunstvoller gebaut als Für Alina und haben ihre Anleihen aus der Zeit um Josquin de Prez (um 1500). Es ist ein Dreiklangsmodell in a-moll, begleitet von einem a-moll-Dreiklang in der linken Hand. Von c¢¢ laufen die Motive nach oben bis zum c¢¢¢, dann folgt das Ganze wieder abwärts. Von der Mitte an verwendet Pärt die gleichen Motive, mit dem Unterschied, daß er die zweite Note nach oben gekehrt hat. Außerdem ist alles um eine halbe Note versetzt. Es gibt schließlich noch eine Variante zu lesen: man liest die beiden Viertel zuerst und dann die Halbe und kann so das Stück von der Mitte ab nach vorne lesen und findet Ähnlichkeiten. Die zweite Variation übernimmt in der Oberstimme die Motivik der ersten Variation, in der Unterstimme - um eine Ganze versetzt, auf e und a augmentiert - das Dreiklangsmotiv. Diese Schreibweise war früher üblich, da es keine Bindebögen gab, und man führte die heutige Schreibweise mit den Bindebögen erst später ein. Die dritte Variation bedient sich wiederum der ersten Motivik in der Oberstimme, in der Unterstimme eines variierten Motivs: die Halbe, die am Schluß stand, ist jetzt in die Mitte gerückt - die beiden Viertel rahmen die Halbe ein. Das Ganze ist um eine Halbe verschoben. Die vierte Variation hat die Tonart gewechselt, sie steht in A-Dur. Die Motive sind die der ersten Variation, nur die Halbe steht im unteren System, ist also nach unten geklappt. Die fünfte Variation ist bis auf das erste Motiv in der unteren Stimme die zweite Variation. Die sechste Variation ist sehr kunstvoll gebaut: die erste Stimme hat die Motivik der ersten Variation, die zweite Stimme imitiert um eine Halbe versetzt die erste Stimme, und die Baßstimme hat um ein Viertel versetzt in ganzen Noten die Tintinnabulitöne. Diese Variation hat auch den stärksten Anklang an Tintinnabuli. Es findet sich keine Funktionsharmonik; das Werk ist von einem Modell aus komponiert.

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