- 36 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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Wohin sonst als in die Vergangenheit. Also aus dem, was noch nicht ist, durch das hindurch, was ohne Ausdehnung ist, in das, was nicht mehr ist."(Corradini 1997, 33) Die Zeit ist für Augustinus das Maß der Bewegung. Da wir Bilder memorieren, kann man behaupten, daß sie sich im Geist (animus) befinden. Das, was sich verändert, sind die imagines der Seele. Die Confessiones XI, 28, 38 sind das Kernstück aller Fragen, in denen es heißt:

Ïch will ein Lied singen, eins, das ich kenne. Eh ich beginne, erstreckt sich meine Erwartung über das Ganze; habe ich begonnen, so erstreckt sich soviel, als ich von meiner Erwartung schon zum Vergangenen hinübergepflückt habe, nun in die Erinnerung, und zerstreckt ist das Leben meines Tuns: es ist Erinnerung, soweit ich schon gesungen habe, es ist Erwartung, soweit ich es noch singen will, was dennoch in Gegenwärtigkeit da bleibt, ist eben mein Bedacht im Vollzug, durch den, was erst noch künftig war, hinüberfährt, so daß es nun zu Vergangenem wird. In dem Maß, als das fortschreitend geschieht, längt sich die Erinnerung und kürzt sich die Erwartung, bis endlich alles, was Erwartung gewesen, sich erschöpft, wenn mein ganzes Tun vollendet und in Erinnerung übergegangen ist. Und so wie mit dem Liedganzen, geht es mit jedem seiner Teilchen, mit jeder seiner Silben; geht es auch mit der szenischen Handlung, von der jenes Lied etwa ein Teilchen ist; geht es mit dem ganzen Menschenleben, dessen Teile alle Handlungen des Menschen sind; geht es mit der Geschichte des Menschengeschlechts von der die Einzelleben alle doch nur Teilchen sind." (Corridani 1997, 42)
Hier wird sehr schön deutlich, daß die Gegenwart das ist, wo sich Vergangenes und Zukünftiges miteinander bewegen. Sie sind keine statischen Größen, sondern sie durchdringen einander.

2.5  Sprache und Zeit

Jetzt geht es noch darum, dem Zusammenhang von Sprache und Zeit nachzugehen. In den Confessiones haben wir es mit einer doppelten Funktion der Zeit zu tun, einmal ist die Zeit Objekt des Textes, zum andern Zeit als Kompositionselement des Textes über Zeit. Im Mittelpunkt der Confessiones steht die Gegenwart. Weil die Welt als Vollzug dargestellt wird, ist die Gegenwart mehr als eine der drei Formen, ist sie beim Akt des Sprechens der Bezugspunkt. Was ich erzähle, ist nicht bloßer Jetztpunkt der Zeit, sondern die Präsenz des Erzählens, das praesens eines Textes. Es ist das Erzählen, das die Früher-Später-Reihe der Ereignisse konstituiert. Das Erzählen geschieht immer in der Gegenwart, d.h., daß die Grammatik der Struktur der Rede umgewandelt wird in eine Grammatik der Erfahrung. Die Zeit hat als letzten Bezugspunkt nur die menschliche Sprache. Zeit ist Sprache.

Augustinus unterscheidet zwischen objektiver, geschaffener Zeit und personaler Zeit, in der menschliches Handeln, Erkenntnis und Sprechen funktioniert. In der personalen Zeit scheint der Mensch auch an die Grenzen gekommen zu sein, in der er nie die Gänze seines Tuns präsent haben kann. So sagt Augustinus, daß die personale Zeit eine zeitliche Anschauung ist, die in der Zeit zerstreute, differenzierte Erkenntnis. In den Confessiones ist es ein Dialog zwischen Gott und dem Menschen. Wenn Augustinus sein Leben memoriert, dann ist es das Reden über die Zeit, ist es ein Reden in der personalen Zeit, die in einem Abhängigkeitsverhältnis


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