- 25 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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 Theoretiker, unbegabter Graphoman und Emigrant oder überzeugter, wenn auch zeitweise verirrter sowjetischer Musikschaffender. Für Gojowy ist nur die Sensation wichtig: Rußland - die Heimat [...] des Avantgardismus [...]."(ebd., 143)

Argumentiert, irgendetwas widerlegt wird in diesen Journalist-Artikeln - und es gibt deren Dutzende gegen unerwünschte Personen, Tendenzen und Darstellungen - im allgemeinen nicht: es handelte sich um keinen Disput, sondern um die Brandmarkung unerwünschter Denkweisen und eine Einschüchterung: so wie hier angeprangert dürfe auf keinen Fall gedacht werden. Aus westlicher Leseperspektive erschien dergleichen eher lächerlich und absurd, weswegen diese Polemiken denn auch im Westen kaum die Chance einer Wahrnahme hatten (zumal eine solche Kenntnisnahme dem Anliegen der Entspannung im Wege sein konnte), und obschon daraus eine durchaus realistische Beurteilung der sowjetischen Kulturpolitik herzuleiten gewesen wäre. Denn auch bei ihnen handelte es sich nicht nur um theoretische Proklamationen, sondern um Anweisungen für den inneren Gebrauch und um handfeste Unterdrückungsmechanismen, die sie begründeten und deren Geschichte noch nicht geschrieben ist. Es gab die stille, alltägliche Unterdrückung, von der Sofia Gubaidulina zu berichten weiß: wenn bereits ausgedruckte und geprobte Werke schließlich zur Aufführung verboten wurden, oder auch ihre spektakuläre Variante: zum Warschauer Herbst 1972 mußte das Leningrader Prokofjew-Quartett anstelle angesetzter Werke von Gubaidulina, Gewiksman und Roman Ledenew auf komponistenverbandliche Weisung andere Stücke spielen, und das Brüsseler Rundfunkorchester die Peintures von Denissow ersatzlos vom Programm streichen - erzwungen hatte dies die sowjetische Komponistenverbandsführung mittels diplomatischer Demarche über das polnische Kulturministerium, und das Warschauer Programmkomitee verweigerte daraufhin seine Unterschrift unter das so zustandegekommene Programm.

Das elektronische Studio im Moskauer Skrjabin-Haus mit seinem abenteuerlichen, ur-russischen Synthesizer, auf dem inzwischen Komponisten wie Gubaidulina oder Alfred Schnittke höchst bemerkenswerte Kompositionen erarbeitet hatten, wurde Mitte der 70er Jahre geschlossen. Als der WDR 1979 für sein Wochenend-Festival Begegnungen mit der Sowjetunion diese Kompositionen zur Präsentation entleihen wollte, wurde das verweigert mit der Begründung, daß es sich nur um Experimente handele, die nicht zur öffentlichen Vorführung bestimmt seien - welch schauerliches Mißverständnis des Begriffes experimentelle Musik! Und in der Musik dauerte diese Eiszeit sogar noch länger als in den bildenden Künsten: Während die sowjetischen Museen zur Ausstellung Paris-Moskau 1979 bisher geheimgehaltene Schätze russischer Avantgardekunst der 20er Jahre der staunenden westlichen Welt präsentierten, begegnete ein begleitendes Musikprogramm aus Kompositionen jener selben Epoche weiterhin einem Veto des sowjetischen Mitveranstalters und wurde schließlich, nach Entscheidung von Pierre Boulez, unter alleiniger französischer Verantwortung realisiert.

Anders als in den 30er Jahren, als ein mißliebiger Komponist wie Aleksandr Mosolow einfach im Arbeitslager verschwinden konnte, richteten sich in den 70er und 80er Jahren besagte Unterdrückungsmaßnahmen nicht gegen entrechtete Unpersonen - Gubaidulina, Denissow, Karetnikow, Schnittke oder Arvo Pärt konnte man wohl versuchen auszuhungern, indem man ihnen Arbeit und Kompositionsaufträge


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