- 23 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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Generationenkonflikt haftet in der Sowjetgesellschaft noch immer der Ruch des Unnützen und Despektierlichen an), es geht ihnen trotz mancher Rückschläge um den Ausbau vorhandener Positionen, um die Selbstverständlichkeit ihres Wirkens und ihrer fachlichen Kompetenz. Man täte ihnen Unrecht, wollte man sie anders interpretieren denn als gute, liberal gesonnene Bürger ihres Staates, denen freilich die Normalität und Vernünftigkeit dessen, was dort geschieht, besonders am Herzen liegt [...]."(Gojowy 1970)

Soweit die vorstehend zitierten Ausführungen ein Bild von der Thematik ergeben, unter denen Komponisten der 1930er Jahrgänge ihren Schaffensweg begannen, ließe sich dieses weithin ergänzen durch einen Blick auf die Situation in der Ukraine, wo sich eine eigene Zwölftonschule aus dem Schülerkreis Boris Ljatoschinskis mit Komponisten wie Walentin Silwestrow, Wladimir Zagorzew, Leonid Grabowski, Wladimir Guba oder Witali Godzjacki bildete, mit einem Blick auf die Kaukasusrepubliken oder eben auf die baltischen Länder, denen Arvo Pärt entstammt. In Litauen begann man als Stammvater der eigenen Moderne den Malerkomponisten Mikalojus Ciurlionis wieder zu entdecken, der unter bisherigen Normen nur als dekadenter Formalist gelten konnte, in Arvo Pärts Heimat Estland ging die Universität Tartu (Dorpat) eigene Wege und ließ in ihren Veröffentlichungen zur Semiotik Autoren wie den genannten Philipp Herschkowitz zu Worte kommen, denen noch in Moskau jedes offizielle Wort auf Jahre hinaus verwehrt blieb (vgl. Literaturverzeichnis).

Was allerdings die in vorstehenden Ausführungen anklingenden Hoffnungen auf Normalisierung der Verhältnisse, der Existenzbedigungen für die Neue Musik betrifft, so sollten sich diese bald und auf zwei Jahrzehnte hinaus als Illusion erweisen. Etwa seit dem Schicksalsjahr 1968, dem Jahr der brüderlichen Invasion in die Tschechoslowakei und den nachfolgenden Gleichschaltungsmaßnahmen im Bereich der Kultur, will sagen, der Zurückdrängung und aktiven Unterdrückung aller selbständigen, innovatorischen Regungen, begann für die Künstler nicht nur in der Tschechoslowakei, sondern gerade auch in der Sowjetunion eine Zeit, für die man inzwischen die Bezeichnung Periode der Erstarrung fand: wremja zastoja, in der Musik insbesondere verknüpft mit dem Wirken des Komponistenverbandssekretärs Tichon Chrennikow, der schon in den 1948er Kampagnen gegen Schostakowitsch und Prokofjew seine unheilvolle Parteisekretärs-Rolle gespielt hatte, eine Periode, deren Auswirkungen schließlich auch Arvo Pärt in die Emigration trieben, ungeachtet der relativen Vorteile, die die estnische Nische im Vergleich zu Moskau oder Leningrad bieten mochte (wir kommen darauf zurück).

So sehr die musikalischen Neuerer auch zwischen Musik und Politik zu trennen versuchten - es sollte ihnen wenig helfen. So sehr sie sich aller politischen Opposition bewußt enthielten, es änderte nichts an der von der Führung des Komponistenverbandes ausgehenden Konfrontation, die keine politische war, sondern die Neuerer selbst in ihrer Person, in ihrem jugendlichen Aufbruch, in der Andersartigkeit ihrer Arbeit waren das Objekt einer irrationalen Gegnerschaft von absurden Zügen. Politische Gegner waren sie in ihrer Eigenschaft als Komponisten: ihre Existenz selbst wurde als antisowjetisch gesehen, mochten sie ansonsten reguläre, unbescholtene Mitglieder des Komponistenverbandes sein, Nachrichten über ihre Existenz als antisowjetische Propaganda. So hatte der Komponist Edison Denissow 1966 der


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