Hörer zu interessieren.) Die jungen Komponisten sind
ein Stück weiter, und sie haben den Schritt von der Sprache der Väter
zum eigenen Stil teilweise im Rückgriff auf die Sprache der Großväter
(Schönberg, Webern) getan, wie das auch im Westen oft geschah. Ihre
jüngeren Arbeiten tendieren zunehmend zur Verdichtung und Komplizierung,
zur Konzentration vielfältiger Formen und Mittel unter dem Ordnungsprinzip
serieller Techniken. Hier wären vor allem Alfred Schnittke (Jahrgang
1934) und Edison Denissow (geb. 1929) zu nennen. Eine eigene Betrachtung
verdienen die jungen Leningrader Komponisten. Musikgeschichtlich besteht
seit jeher ein Spannungsverhältnis zwischen Moskau und der nördlichen
Metropole. Moskau, bürgerlich-sentimental und kosmopolitisch geprägt,
blickte traditionsgemäß nach Westen, orientierte sich am italienischen
Belcanto und an der Romantik des Leipziger Konservatoriums; Petersburg,
aristokratisch-national gesinnt, war schon im 19. Jahrhundert stolz auf
die schöpferischen Möglichkeiten einheimischer Folklore - und
geriet damit unversehens ins Experimentieren. Hier erwuchs die herbe, nationalrussische
Tonsprache des Mächtigen Häufleins um Mussorgski, aber
auch die von Strawinsky, Prokofjew und Schostakowitsch, in Moskau dagegen
die europäischeren, weicheren Klänge Tschaikowskys, doch
auch konsequente Neuerer wie Skrjabin oder Roslawetz behielten hier sentimental-romantische
Züge. Auch heute behauptet dieser Unterschied - innerhalb des modernen
dodekaphonisch-seriellen Satzes - gewisse Gültigkeit: Die Moskauer
fanden leichter zum Vorbild Weberns, damit zu einer vorgegebenen Richtigkeit
und formalen Abrundung, aber auch zu einem geschlossenen persönlichen
Stil. Dagegen spürt man bei den Leningradern eher die Tendenz zum
zuversichtlichen Beharren auf den eigenen Traditionen und zum formalen
Experiment, auch wenn es nicht zur letzten Vollendung glückt: sie
erscheinen hierin manchmal unfertiger und eklektischer, manchmal interessanter.
Die wichtigsten Namen: Sergej Slonimski (geb. 1929) und Boris Tischtschenko
(geb. 1941). Was Erfolgs- und Durchsetzungsaussichten dieser musikalischen
Ansätze betrifft, so äußerten sich die Musiker, mit denen
ich sprach, hierzu eher hoffnungsvoll als resigniert. Einmal findet ihre
Musik beim Publikum Beachtung, in und außerhalb der Sowjetunion.
Als aufmerksamer Mäzen erweist sich die Leningrader Philharmonie unter
dem Dirigenten Roschdestwenski mit ihren Kammerensembles; hochbegabte Interpreten
wie der Geiger Mark Lubotzki, der Pianist Alexej Ljubimow oder die Sängerin
Lydia Dawydowa schaffen die technischen Voraussetzungen. Auch in Finnland,
in den USA, auf den Festivals in Warschau und Zagreb gab es erfolgreiche
Premieren. Schallplatten und Notendrucke erscheinen, etwas verzögert,
was aber wohl mehr wirtschaftliche als kulturpolitische Ursachen hat.6
Die kulturpolitischen Widerstände sind nicht ausgestorben - bisweilen
klingt erneut in diesem oder jenem Presseartikel die alte bösartige
Tonart wider die musikalischen Experimente in Interessengemeinschaft mit
dem Weltimperialismus auf, aber sie finden bei den jungen Komponisten nicht
mehr die starke Beachtung wie einst. Es hieße fehlinterpretieren,
wollte man die Sachlage heute noch auf den Nenner der etablierten Normen
einerseits und der aufmuckenden Opposition andererseits bringen. Die musikalischen
Neuerer versuchen sehr scharf zwischen Musik und Politik zu trennen und
sähen sich höchst ungern in der Rolle von Opponenten (den
Begriffen Opposition,
6 So konnte z.B. Andrej Wolkonskis Spiegelsuite, ein Zwölftonwerk, 1970 noch im Verlag Sowetski kompozitor erscheinen. |