- 18 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
  Erste Seite (1) Vorherige Seite (17)Nächste Seite (19) Letzte Seite (76)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

Ehrfurcht erwähnend, daß 'das Spektakel auf die Gäste - westeuropäische Musiker - den stärksten Eindruck hervorrief', verschweigt der Theaterhistoriker, wieviel an talentierter sängerischer Jugend bei dieser und ähnlichen Aufführungen verkrüppelt wurde [...]."

Man kann in diesem Dokument hochstalinistischer Ästhetik eine geistige Nachbarschaft zu den nationalsozialistischen Kunstanschauungen über Entartete Musik (vgl. Ziegler 1938) schwerlich übersehen. Grundvorwurf ist, daß von diesen dekadenten Einflüssen sowjetische Musiker bis in die Gegenwart hinein infiziert worden seien, in diesem Zusammenhang genannt werden Dmitri Schostakowitsch, Gawriil Popow, Lew Knipper, Aleksandr Mosolow, der inzwischen, nach Arbeitslager-Inhaftierung 1937, aus den Großstädten verbannt und aus dem Musikleben praktisch ausgeschaltet war (vgl. Barsowa 1992), Wissarion Schebalin, der sich als Schostakowitschs treuer Freund bewährte, indem er gegen die 1948er Parteibeschlüsse seine Stimme erhob und daraufhin als Rektor des Moskauer Konservatoriums Amtsenthebung und Lehrverbot erlitt, Leonid Polowinkin, Sergej Wasilenko, Alexander Schenschin, Wladimir Deschewow, Samuil Feinberg, Nikolaj Mjaskowski, Anatoli Aleksandrow, Aleksandr Krein, Michail Gnesin, kurzum: die gesamte in den 20er Jahren bedeutsame Komponistengeneration, aber auch die in den Unionsrepubliken nachgewachsene Generation wie Grigori Kiladze oder Aro Stepanian.

Es scheint nicht belanglos, darauf hinzuweisen, daß zur Zeit der Perestrojka Ende der 90er Jahre die hier befehdete Assoziation für Zeitgenössische Musik durch den Komponisten Edison Denissow eine Wiedergründung erfuhr, konkurrierend zum alten Komponistenverband, in dem sie 1932 zwangsweise aufgegangen war, und mit einem hochqualifizierten Ensemble, dem ASM-Ensemble, neue Schöpfungen russischer Komponisten auf Festivals im In- und Ausland bekanntmachte.

Entgegen bisweilen begegnenden Vorstellungen muß festgehalten werden, daß Bewertungen wie die hier aus dem 1948er Dokument zitierten nicht allein die womöglich subjektive und unmaßgebliche Kritik eines wunderlichen Außenseiters bedeuteten, so wie denn gelegentlich beschönigend bekundet wird, ein Komponist sei kritisiert worden - tatsächlich entsprach aber solche Kritik einer Richtlinie der Partei und bedeutete für ein Werk Aufführungs- und Verbreitungsverbot - in den sowjetischen Bibliotheken geriet es in den Giftschrank, in der Musikgeschichte folglich in Vergessenheit - und für seinen Autor Berufsverbot. Der Komponist Andrej Wolkonski berichtete, wie er als Student vom Moskauer Konservatorium relegiert wurde, weil man im Koffer unter seinem Bett im Studentenheim Partituren von Komponisten der Zweiten Wiener Schule gefunden hatte. Er schilderte die Situation der 50er Jahre so:

"Richard Strauss wurde als ein sehr gefährlicher Modernist angesehen, ganz zu schweigen von dem, was danach kam. Das einzige, was in dieser Epoche zulässig war, waren Tschaikowsky und Rachmaninow. Daraus wird verständlich, dass Komponisten wie Schostakowitsch und Prokofjew in dieser Epoche auf den Index gesetzt waren - nicht verboten, aber auf den Index gesetzt. Eben in dieser Situation übten sie einen Einfluß auf mich aus, vor allem, weil ich in diesem Moment vollkommen abgeschnitten von allen Informationen war, die aus dem Westen kommen konnten. Es war absolut unmöglich, sich Partituren zu verschaffen, Schallplatten, irgend etwas [...]. Man musste sich mit dem zufriedengeben, was man am Ort hatte. Und das


Erste Seite (1) Vorherige Seite (17)Nächste Seite (19) Letzte Seite (76)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 18 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik