- 12 -Kautny, Oliver (Hrsg.): Arvo Pärt - Rezeption und Wirkung seiner Musik 
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Deutungsgrundlage für seine Werke heranzuziehen. 1987 stellte Gojowy anläßlich der ZDF-Reportage Am Ende der Lieder in Die Welt fest, daß Pärts Musik nicht als modische Meditationsmusik beschrieben werden kann. Sie sei vielmehr aus der sowjetischen Musikgeschichte der sechziger Jahre erklärbar. Er führt sie zurück auf eine "Wiederentdeckung einer nichtromantischen alten Musik, [...] Entdeckung konziser Strukturen im Sinne Weberns", äuf einen "nicht versiegenden Ton der Mystik"(Gojowy 1987), den schließlich auch Komponisten wie Sofia Gubaidulina oder andere anschlugen. 1990 kam der Musikhistoriker schließlich zu der Deutung der - bereits 1976 in der Estnischen SSR begonnen und 1982 im Westen vollendeten - Johannespassion als eine ßeismographische Vorahnung (oder wenigstens Reaktion) der Existenzkrise [...] der sozialistischen (Schein-)Welt". Und weiter liest man:

"Dies hier hat nichts zu tun mit Hedonismus, Bewußtseinserweiterung oder Meditation: Es ist Musik der Verzweiflung und jener aus ihr erwachsenden religiösen Erneuerung, die sich gleichfalls in allen Ländern dieser Sphäre beobachten läßt. Damit verbunden ist wohlgemerkt ein Abschied von der Idee der Avantgarde, die den hoffnungsvollen Blick in eine Zukunft der ständigen, glücklichen Weiterentwicklung voraussetzt. Genau dieser Glaube ist in [...] Arvo Pärts archaischer Klangsprache abhanden gekommen. Die Archaik dieser Sätze - auf Gregorianik, Byzantinik oder uralter Folklore beruhend, wie Denissows Totenklage oder Volkonskys Klagen der Schtschasa - hat nichts mit romantischer Entdeckerfreude zu tun, um so mehr mit einer Absage des Individuums an eine unerfreuliche, besser: unerträglich gewordene Gegenwart." (Gojowy 1990, 363)
Als Beitrag für das Wuppertaler Symposium entwirft Detlef Gojowy als Fortsetzung seiner musikgeschichtlichen Studien ein detailliertes Bild der musikhistoriographischen Situation der UdSSR, um Pärts Schaffen als Detail im reichen Mosaik der sowjetischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts zu identifizieren.

Einen ganz anderen Zugang zu Pärts Musik findet Brunhilde Sonntag, die nach den Spezifika des ästhetischen Objekts von Pärts Musik und ihrer Entfaltung als Zeitkunst fragt. In ihrem Beitrag Das Problem der Zeit in der Tintinnabuli-Mu"-sik Arvo Pärts lenkt sie das Interesse auf das der Musik inhärente Wirkungspotential, das sich durch einen philosophischen Rekurs auf das Mittelalter verdeutlichen läßt. Christliche Zeittheorien - insbesondere die von Augustin - sieht sie als Pendant zu Pärts Musikästhetik, über die sich der Komponist in zahlreichen Publikationen geäußert hat. In diesem Kontext zeigt sie den Zusammenhang von Zeit und Stille auf und kann somit Wirkungsphänomene einer zeit-losen Stille-Musik beschreiben.

Peter W. Schatt präsentiert mit seinem Vortrag Assimilation und Widerstand. Musikpädagogische Perspektiven zum Werk Arvo Pärts ein völlig anderes Beschreibungsmodell für Pärts Musik, das in rezeptionstheoretischer Hinsicht ein breites Spektrum an Perspektiven nutzt, indem es biographische, historisch-gesellschaft"-liche, produktionsästhetische und letztlich auch musikpädagogische Fragen integriert. Die spezifische Eigenart dieses Modells ist es, dieser weitwinkligen Perspektive durch die Leitdifferenz Assimilation und Widerstand die nötige Tiefenschärfe zu verleihen. An der Dialektik dieser beiden Pole macht Schatt das Besondere an Pärt und seinem Schaffen wie auch die Spezifika einer stereotypisierenden, verkürzenden, normativen Wahrnehmung der Musik durch die Musikkritik fest. Das besondere Merkmal dieses Ansatzes könnte man - im Sinne Saussures oder Luhmanns


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