anderen Aktschlüssen Hoffmann sich im Gegensatz zur
jeweiligen Welt befand, sein Liebesgefühl durch die Vorgänge in dieser Welt
enttäuscht war, hat der Hoffmann des Giulietta-Aktes mit seiner Seele seine
Liebesfähigkeit eingebüßt, die Liebe ist ihm abhanden gekommen. Insofern ist
Felsensteins unterkühlte, fast schematische Darstellungsform in der Konzeption des
Aktes begründet. Sie sind entseelte Kreaturen ohne menschliche Wärme. Ihre
Handlungen sollen nicht teilnehmend nachvollzogen, sondern urteilend verfolgt
werden. Die oben angesprochene Diskrepanz zwischen bewegter Musik und
körperlicher Darstellung führt zu einer distanzierten Betrachtungsweise, nicht zu
anteilnehmendem Erleben. Man könnte sagen, dass der im Olympia-Akt als
Karikatur dargestellte Zynismus der Festgesellschaft, an der die Naivität des
studiosus scheitert, im Giulietta-Akt verallgemeinert ist. Was die theatralische
Existenzform in der Karikatur noch als exaltierte Ausnahme kennzeichnet, wird zur
›normalen‹ Triebkraft der Festgesellschaft im Giulietta-Akt. Durch die realere
Darstellungsform erlangt der Zynismus der Gesellschaft dieses Aktes bedrückende
Intensität.
Dem Zynismus dieser Welt hat Felsenstein in seiner Inszenierung eine Verkörperung gegeben: der missgestaltete, kleine, glatzköpfige Pitichinaccio, bei Felsenstein eine bösartige Narrenfigur am Hof Giuliettas. Charakterisiert zum einen durch seine Schlagfertigkeit im Dialog mit dem Dichter Hoffmann verleiht ihm aber seine Körperlichkeit und sein penetrantes, debil anmutendes, lautes und schrilles Lachen grausige Züge. Sie treten extrem am Aktschluss zutage. Das für Niklaus bestimmte Gift Dapertuttos gibt Pitichinaccio unwissentlich Giulietta. Als diese stirbt, glotzt Pitichinaccio erst verständnislos, dann sensationslüstern fasziniert und bricht schließlich unvermittelt in jenes Lachen aus. Die Brutalität des bloßen Zynismus ist in dieser Figur augenfällig materialisiert. Pitichinaccios deformierter Körper und sein enthemmtes und gemeines Lachen wird zum fratzenhaften Inbegriff der Gesellschaft, dessen Narr er ist. Die Kälte dieser Vision mündet folgerichtig im V. Akt, dem Bild des völlig zerstörten Hoffmann in Luthers Keller. Der V. Akt beinhaltet auch in Felsensteins Fassung100
In der letzten Strophe des Liedes von Klein-Zack (Felsenstein, Nr. 39) rechnet Hoffmann mit Stella und Lindorf ab. Er singt sie mit »käuflicher Liebe« und »Geldsack« an, die beiden Angesprochenen verlassen nacheinander empört Luthers Keller. Der Schlussarie Hoffmanns (Felsenstein, Nr. 38) geht der Monolog der Muse voraus, in die sich, nachdem Hoffmann sich von seiner Liebe zu Stella durch seine drei Frauenerzählungen emanzipiert hat, Niklaus zurück verwandelt. Der Monolog ist melodramatisch unterlegt mit Versatzstücken aus Hoffmanns Liebeslied des Antonia-Aktes.
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