reflektierende Erleben der Szenen durch den Zuschauer
stört seine Anteilnahme an dem Liebesduett. Dieses Verhältnis von Musik und
Szene resultiert aus der Handlung. Die intrigante Verführung Hoffmanns durch
Giulietta in den beiden Duetten erklärt sich aus den Absichten Dapertuttos und
Giuliettas. Den Duetten wiederum ist eben diese Handlung anzumerken. Gerade die
Konventionalität des Liebesduetts ›en miniature‹ (Felsenstein, Nr. 32) und auch
des Duettes am Aktschluss macht Sinn in der leb- und lieblosen Welt dieses
Venedigs.
Auf diese Funktion des Konventionellen trifft man im Giulietta-Akt auffällig oft. Schon das Trinklied Hoffmanns (Felsenstein, Nr. 30) bleibt im Formalen einer Opernszene verhaftet. Es handelt sich nicht um eine Ariensituation Hoffmanns, in der er der Liebe abschwört und sich dem Sinnengenuss hingibt, so dass der Zuschauer mitfühlend Einblick in die seelischen Vorgänge Hoffmanns erhält, sondern um ein gesellschaftliches Ereignis: Der große Dichter Hoffmann singt ein Trinklied. Es macht uns mit Hoffmanns neuem Beschluss, für den Sinnengenuss zu leben, bekannt. Insbesondere die Unmittelbarkeit der Wirkung von Musik geht verloren, wenn sie als Bühnenmusik, also Teil der Bühnenhandlung, und nicht mehr als Sprache der Seele erklingt. Sie erhält mittelbare, durch Reflexion zu erschließende Funktion. Einer solchen Musiknummer haftet durch die Konvention des szenischen Aufbaus per se ein Moment des Bezeichnenden an. Felsenstein verstärkt dies dadurch, dass er Hoffmann ausgesprochen viele Gänge machen lässt und dass auch im Chor viele Aktionen auf der Bühne zu sehen sind. Die Beliebigkeit der Aktionen spiegelt die Oberflächlichkeit der inneren Welt Hoffmanns und der Festgesellschaft wider. Das, was hier dargestellt wird, kann schwerlich Anteilnahme beim Zuschauer auslösen. Es ist nicht verwunderlich, dass gerade der Giulietta-Akt mit seiner überdurchschnittlich bewegten äußeren Handlung in dieser Hinsicht auffällt. Die Kälte und Distanziertheit dieses Aktes erklärt sich aus seiner komplexen Dramaturgie. Sie selbst wirft ein Licht darauf, was der Akt zeigt. Während in den anderen Akten der Grundzug in einem starken Liebesgefühl, das enttäuscht wird, besteht, ist die Welt des Giulietta-Aktes gekennzeichnet durch Lieblosigkeit.99
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