- 94 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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wird. Über alle Geschehnisse schwebt ihr leicht schwingender Rhythmus. Der in der Anfangsszene etablierte Topos Venedig wird in dieser Szene aufgerufen, aber diesmal drastisch die szenischen Vorgängen kontrastierend. Felsensteins Szene endet, indem Hoffmann dem toten Schlemihl völlig ungerührt den Schlüssel zu Giuliettas Schlafgemach abnimmt.

Das letzte Duett (Felsenstein, Nr. 34) dieses Aktes wird merkwürdig unklar veranlasst. In Giuliettas Schlafgemach wartet Hoffmann auf Giulietta, die im betreffenden Dialog sich dem Rat Niklaus’ anschließt und von Hoffmann verlangt, er möge fliehen. Dieser Rat ist darauf berechnet sein, Hoffmann völlig gefügig zu machen, in seiner Verliebtheit soll er ihre Sorge für echt halten. Hoffmann jedoch zieht es vor, »den Tod in ihren Armen zu finden«. Das Wort Tod löst den Einsatz Giuliettas aus, sie bedrängt ihn, sie wolle mit ihm leben. Dass dies wegen der eindeutigen Intrige vorgetäuscht ist, muss der Zuschauer sehen. Ab diesem Moment handelt die Szene nicht mehr von der Liebe, sondern von der Verführung Hoffmanns, eine sich zur Musik reflektierend verhaltende Ebene ist für den Zuschauer eingeführt, der zwar wiederum ein konventionelles Liebesduett hört, aber eine brutale Besitzergreifung der Seele Hoffmanns sieht.

Felsenstein inszeniert nicht den drängenden, fast hysterischen Duktus der Musik. Warum Giulietta den ersten Teil des Duettes musikalisch führt, ist durch die Szene klargestellt: Ihre ›Leidenschaft‹ zieht ihn mit, von ihr fasziniert zu sein, bedeutet, einen weiteren Schritt hin zum Endpunkt der Intrige, dem Verlust seines Spiegelbildes. Felsenstein macht dies dadurch deutlich, dass Giulietta, abwechselnd von Hoffmann ab- oder ihm halb zugewandt singt, während Hoffmann ihr – musikalisch wie szenisch – folgt. Schon im Anfangs-Teil des Duettes ist er merkwürdig passiv. Im Mittel-Teil dann besingt Giulietta ihre – vermeintliche – Liebeseuphorie, ihm ganz zugewandt. Den Abschluss dieses Teiles bildet eine kurze Duettstelle zwischen den beiden, er ist verzaubert. Daran schließt sich im nächsten musikalischen Formteil der dramaturgisch wesentliche Fortschritt und Höhepunkt an, nämlich der Wunsch Giuliettas, Hoffmann möge für seine Liebe zu ihr sein Spiegelbild hergeben. Logischerweise stellt sie sich dazu neben den großen über dem Bett hängenden Spiegel. Die Entscheidung, sein Spiegelbild herzugeben, findet im Schluss-Teil statt, der nun komplett im Duett gesungen wird. Mit dem sichtbaren Verschwinden seines Spiegelbildes fällt Hoffmann erschöpft aufs Bett. Den triumphierenden Abschluss singen Giulietta und Dapertutto gemeinsam.

So sinnfällig Felsenstein den klaren musikalischen Aufbau des Aktschlusses szenisch verwirklicht, gerade die Abfolge der Duett-Situationen wie der Stationen hin zum Ziel der Intrige, Hoffmanns Spiegelbild zu erlangen, erscheint merkwürdig schematisch. So konsequent es dem musikalischen Verlauf entnommen zu sein scheint, dass Giulietta vorangeht (sie führt den ersten Teil) und der Handlung entsprechend ihre Intrige vor Hoffmann verheimlichen muss, sich also von ihm mehr ab- als zuwendet, erscheint diese szenische Lösung dem inneren Tempo der Szene merkwürdig unangemessen. Die Statik erhöht nicht die Intensität der Szene dadurch, dass der Zuschauer die Musik dem Innenleben der beteiligten Figuren zuschreibt und so gespannt den geäußerten Zuständen folgt, sondern fällt mit der Musik auseinander. Eine gesteigerte Beteiligtheit an der Handlung bleibt aus, was seinen Grund in der schon oben angedeuteten komplexen Musikdramaturgie dieses Aktes hat: Das


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