Felsenstein zeigt aber die reale Macht des Diamanten, indem er während des Chansons
neben der Großaufnahme des Diamantringes die Szene am Spieltisch im Nebenraum
einblendet, in der Giulietta die Rufe Dapertuttos hört, hypnotisiert aufsteht
und zum Abschluss des Chansons bei Dapertutto erscheint. Ansonsten besteht
die szenische Realisierung des Chansons in einer ruhigen Großaufnahme von
Dapertuttos Gesicht, in dem sich bis auf ein kurzes Aufflackern kaschierter fast
animalischer Vorfreude bei der Erwähnung seines Planes, Hoffmanns Seele zu
fangen, kaum eine Regung abspielt. Gerade die Ruhe, mit der Dapertutto die
Macht seines Diamanten ausspielt, weist über den »zynischen Verführer« weit
hinaus. Der Ruhe merkt man die Rücksichtslosigkeit und die Sicherheit schier
grenzenloser Macht an. Auf diese Weise entpuppt sich in Dapertutto der Teufel,
der die seelenlose, rein sinnlich-materielle Seite des Menschen beherrscht. Die
hypnotisierende Macht des Diamanten verweist auf die Grundlage der Beziehungen in
Dapertuttos Venedig, die darin besteht, voneinander Besitz zu ergreifen, anstatt zu
lieben.
Das kurze Duett zwischen Hoffmann und Giulietta (Felsenstein, Nr. 32) markiert den Beginn der Intrige Dapertuttos, Hoffmanns Seele zu bekommen, indem Giulietta Hoffmann in sich verliebt macht. Dass Hoffmann zu diesem Zeitpunkt, wie im Dialog mit Niklas unschwer zu erkennen ist, schon in Giulietta verliebt ist, wirft ein Licht darauf, wie es um Hoffmanns Abschwören hinsichtlich der »hohen Liebe« wirklich bestellt ist. Ein aufgesetztes Leiden und ein paar Tränen Giuliettas genügen, damit Hoffmann wähnt, ihre wahre Natur entdeckt zu haben: jene ihren Gram und ihre Einsamkeit hinter Kurtisanentum und äußerlicher Fröhlichkeit versteckende Giulietta. Und er, Hoffmann, hat ihr Geheimnis erkannt, ihr ins Herz geschaut. An diese im Dialog der beiden entstandene Situation schließt sich ein kurzes euphorisches Duett an, in dem klar wird, dass sie spielt, während er es ernst meint. Es ist gewissermaßen ein Liebesduett ›en miniature‹. Hoffmann beginnt allein im A-Teil, Giulietta bedrängend, sie entzieht sich ihm im Mittelteil. Im A’-Teil beginnt Hoffmann, Giulietta setzt halbtaktig ein, dieser Formteil schließt ebenso wie die Coda mit einer kurzen Duettstelle ab. Das Ganze dauert bei Felsenstein gut eine Minute, die vermeintliche Liebe ist perfekt – ein formal konventioneller Aufbau eines Liebesduetts, der jedoch gerade durch seine enorme Kürze den Eindruck des Mechanischen hervorruft. Genauso, wie diese Emotionalität ›klingt‹, inszeniert Felsenstein sie: er baut eine konventionelle Szene, beim vor Giulietta auf die Knie fallenden und sie umklammernden Hoffmann begonnen und die beiden Hand in Hand hinausschreitend am Ende, durchläuft die Szene im Zeitraffer die Stationen eines Liebesduetts. Auch das Liebesgefühl, das von Hoffmann Besitz ergreift, ist deutlich gekennzeichnet: kein inniges Liebesgefühl, sondern sinnliches Begehren, das Hoffmann aber durchaus für echte, tiefe Liebe hält, der er verfallen ist. Die Abfolge verdeutlicht, dass Hoffmann lieben muss. Der nach den beiden Enttäuschungen ernsthafte Entschluss, sich nur noch zu vergnügen, wird aufgehoben, sobald sich sein Liebessehnen an Giulietta entzünden kann, wofür es allerdings der vorgetäuschten Innerlichkeit Giuliettas bedarf. Unausweichlich folgt der Konflikt zwischen Hoffmann und Schlemihl, der im Duell und Schlemihls Tod mündet. Der ganze vorangehende Dialog und das Duell sind mit der Barkarole (Felsenstein, Nr. 33) unterlegt. Hier wird die Barkarole wiederum zum Klangbild der venezianischen Welt, in der ebenso leicht geliebt wie gestorben |