übergeblendet, auf dem Gondolieri Liebespaare rudern. Mit diesem Bild setzt die erste
Gesangsstrophe ein. Felsenstein zeigt nicht Niklaus und Giulietta, die die Barkarole
singen, sondern Venedigs Brücken und Kanäle. Eine dramaturgische Begründung
dafür, dass die beiden Gegenspieler gemeinsam die Barkarole singen, liegt nicht
in einer individuellen Ausdrucksfunktion dieser Musik, denn es ergibt keinen
handlungsdramatischen Sinn, dass Niklaus und Giulietta, die beiden Gegenspieler,
gemeinsam die Barkarole singen. Dem Bildensemble auf dem Wasser schimmernden
Mondlichts, der Gondoliere und sich vergnügender maskierter Liebespaare reiht sich
die Barkarole als »Couleur locale« ein. Der auf diese Art synthetisierte Topos
Venedig97
Genau dies sucht der Hoffmann des Giulietta-Aktes. Nach den Liebesenttäuschungen mit Olympia und Antonia hat er der Liebe abgeschworen und sinnt auf puren Genuss und Taumel (Hoffmann: »Die hohe Liebe ist vorbei, doch soll es deshalb keine schönen Nächte geben.«) Hoffmanns Lied mit Chor (Felsenstein, Nr. 30) markiert seine neue Lebenseinstellung. Felsenstein inszeniert eine bacchantische Szene (die mit unseren – an so ziemlich alles auf der Bühne gewöhnten Augen betrachtet – freilich allzu brav erscheint), in der Hoffmann durch Reihen sich lasziv hingebender Damen geht, während im ganzen Saal ausgelassen feiernde Paare ihm begeistert zuprosten. Die letzte Strophe des Trinkliedes (Felsenstein, Nr. 30a) singt Giulietta, den Abschluss bildet eine kurze Duettstelle zwischen Giulietta und Hoffmann, während Giuliettas aktueller Verehrer, Peter Schlemihl, eifersüchtig aufspringt. In Dapertuttos Spiegelarie (Felsenstein, Nr. 31), in der er die Macht seines Diamanten, mit der er Giulietta beherrscht, beschwört, wird der Gegenspieler Hoffmanns etabliert. Betrachtet man allein die Musik, so hat Egon Voss gewiss Recht, wenn er feststellt: »[...] dieses Stück, das bedingungslos auf seiner üppigen Klangsinnlichkeit und ungetrübten Schönheit besteht und sich um die Bedeutung des zugrundeliegenden Textes nicht im geringsten kümmert, degradiert den Text zur bloßen Äußerlichkeit, zum aufführungspraktischen Akzidenz gleichsam.«98
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