Dahlhaus
skizzierten mit Reminiszenzen und Antizipationen spielenden Kompositionsweise
Offenbachs wohnt der Gedanke, musizierendes Theater zu sein inne, denn musikalische
Reminiszenzen und Antizipationen beziehen sich eben auf die Stückhandlung,
erklingende Musik wird erst durch ihre Verflochtenheit mit der Handlung Antizipation
oder Reminiszenz. Das wird nicht zuletzt daran deutlich, welchen letztendlich
dramatischen Sinn Dahlhaus den scheinbar bloß kompositionstechnischen Momenten
zuschreibt, nämlich einen, der im Kontext der Ausgangsituation Hoffmanns wirklich
evident wird.
Nicht nur daran, welche Musiknummern in Felsensteins Verfilmung erklingen,
wird die Handlung dieses musizierenden Theaters deutlich. Es wirft auch ein
interessantes Licht auf die Musikdramaturgie dieses Aktes, wenn man überlegt,
welche Situationen der Handlung sich Musiknummern anböten, die gar nicht
komponiert sind. Es wird sofort augenscheinlich, wie Musiknummern bei gleichem
Handlungsgerüst die Handlung verändern würden, weil Musikdramaturgie und Handlung
verflochten sind. Nachdem Hoffmann erfährt, dass Antonia sterben muss, wenn sie
singt, schließt sich nicht etwa eine Arie an, in der er sich für eine bürgerliche
Existenz entscheidet. Seine Entscheidung teilt er Antonia dialogisch mit, sie ihren
vermeintlichen Verzicht auf ihre Karriere ebenso; es gibt keine – beispielsweise in einer
italienischen Oper die Peripetie einer tragischen Liebesgeschichte markierende – große
Duettszene mit ausbleibender Cabaletta, deren Fehlen auf die Entzweiung der
beiden verweisen würde. Der Konflikt zwischen Hoffmann und Antonia hat keine
Musik.
Nur der Konflikt zwischen dem Gesangsverbot und Antonias ehrgeizigen
künstlerischen Ambitionen, ihrem grenzenlosen Streben nach Ruhm und Erfolg,
findet seinen musikalischen Ausdruck und zwar im Terzett (Felsenstein, Nr.
27) vor dem Akt-Finale. Dort drückt sich eigentlich eine Arien-Situation
Antonias aus, ihre Mutter und Mirakel sind Inkarnationen ihrer Träume und
Wünsche,93
vgl. dazu Döhring, Sieghart in: ebd., S. 299f.: »So wird in Miracles Ansprache die
Künstlerexistenz als lockende Gegenwelt zum bürgerlichen Alltag beschworen, die Musik
als Sphäre rauschhafter Selbstverwirklichung, die Macht über die Seelen verleiht. Die
Sirenengesänge der Primadonna sind das klangliche Symbol für die Triebsphäre der Musik,
der Antonia von Anfang an verfallen ist und derem tödlichen Zauber sie schließlich erliegt.«
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die sie mit ihrer Künstlerkarriere verbindet. Eingeleitet wird das Terzett durch
einen melodramatisch unterlegten Dialog Antonias mit Mirakel, in dem sie
noch standhaft zu ihrer Liebe zu Hoffmann hält. Erst als ihre Verzweiflung
so groß wird, dass sie mit den Worten »Wer rettet mich vor dem Dämon?«
Hilfe bei ihrer verstorbenen Mutter sucht, setzt das Terzett ein. Die Musik
erfasst wirklich erst den Umschlag des Konfliktes, in dem ihre Sehnsucht nach
einer Künstlerexistenz dadurch, dass die Mutter ihr die Stimme gab, in den
Augen Antonias rechtfertigt wird. Selbstverständlich beachtet Felsenstein genau,
dass Antonia erst mit dem dritten Rufen ihrer Mutter einsetzt. Dadurch wird
sinnfällig, dass es sich bei dem Terzett um innerpsychische Vorgänge Antonias
handelt.94
So erscheint S. Döhrings Interpretation, mit der Anrufung der Mutter würde »unbewußt eine
noch tiefere, triebhaftere Schicht ihrer Psyche [. . . ] im Porträt der Mutter »doppelgängerhaft«
materialisiert«, plausibel. Döhring, ebd. 299
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Dies verdeutlichen auch die schnellen Schnitte zwischen dem Geige spielenden Mirakel
und Antonia, wobei Mirakels Gesicht in Nahaufnahme mit unbestimmtem Hintergrund
zu sehen ist. Die Schnitttechnik
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