Braunmüller erläutert die »unspontan-starre« Wirkung, die der
Darstellungsweise einer Identifikationsfigur widersprechen würde, als Mangel
der Produktionsweise, insbesondere des von Felsensteins/Mielke verwandten
Playback-Verfahrens.14
(Der dort von Braunmüller angestellte Vergleich mit dem ausgesprochen kurzen
Wochenschaufilm mag eine persönliche Einschätzung sein.) Die distanzierende, teilweise
statisch-unterkühlte Darstellungsweise nicht als Mangel, sondern als irritierendes
Stilmittel aufgefasst, führt jedoch zu einem differierenden Ergebnis: Die von Braunmüller
zutreffend als dem Drama der geschlossenen Form nahestehende Bearbeitung
Felsensteins widmet sich mit dem ›Hoffmann‹ einem Stück, dass zu dieser Intention
quersteht, was ein illusionistisches Theater auf eine schillernde Weise aufhebt. Um es
deutlicher zu sagen: mit allen Mitteln glaubwürdig zu machen, dass Hoffmann sich in
eine Puppe verliebt (mittels einer verzaubernden Brille) ist unglaubwürdig in sich.
Permanent eine Welt als glaubwürdig zu behaupten, die phantastisch ist – und das in
einem durchaus romantischen Sinn – führt zu einer komplexen Brechung, die
letztendlich auf ein Theater hinausläuft, in dem die Form des geschlossenen
Dramas nurmehr ein Element bedeutet. Ähnliches muss auch Joachim Herz
bemerkt haben, wenn er feststellte, »in Felsensteins Offenbach-Inszenierungen
berührte sich zu Kristall gefrorene Emotion mit dem, was Brecht ›Verfremdung‹
nannte.«15
Herz, Joachim: Walter Felsenstein. Versuch eines Kurzporträts, in: Kobán, Ilse (Hrsg.): »Das
schlaue Füchslein« von Leos Janácek; S. 12
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Felsensteins ›Blaubart‹-Inszenierung, auf die Braunmüller nicht eingeht,
passt mit ihrer Fülle an ironischen und parodistischen Brechungen schwerlich in
die von Braunmüller skizzierten Parameter Felsensteinscher Inszenierungen.
Gerade dort ist ein komplexes Wechselspiel von Glaubwürdigkeit – was
der Komplementärbegriff zum Wahrscheinlichkeitsaxiom ist – und Parodie
festzustellen.16
vgl. Kap. 3.3.2 der vorliegenden Arbeit
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Ansonsten sind allfällige Übereinstimmungen bzw. Differenzen der Ergebnisse
in beiden Studien m. E. insofern von wissenschaftlichem Interesse, als eine
vollkommen unterschiedliche Schwerpunktsetzung vorgenommen wurde, d. h.
die zum Teil divergenten Schlussfolgerungen beider Studien verhalten sich
zueinander komplementär. Eine dezidierte Untersuchung der konkreten szenischen
Lösungen anhand der Filme ist bei Braunmüller – vielleicht mit Ausnahme des
›Fidelio‹-Filmes, der aus den angeführten Gründen von mir nicht näher untersucht
wurde17
vgl. Fußnote 6, S. 6 der vorliegenden Arbeit
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weniger vorrangig. Vor allem aber wird die Problematik eines »musikalischen Theaters«,
das die Wurzeln seiner szenischen Vorgänge in der Musik explizit behauptet und
beansprucht, bei Braunmüller nur sporadisch berührt. Folgerichtig werden ebensowenig
die musikästhetischen und theaterpraktischen Implikationen der Auffassung von der
Musik als einem sprachanalogen Ausdrucksmittel erörtert.
Während Braunmüller die Verpflichtung der Arbeiten Felsensteins im Wesentlichen
unter dem Gesichtspunkt einer Dramaturgie des geschlossenen Dramas und dann
vorrangig an den Felsenstein’schen Bearbeitungen betrachtete, analysiert und diskutiert
diese Arbeit die spezifisch musikalische Bestimmtheit Felsensteinscher Erzähl-,
Darstellungs- und Arbeitsweise unter Verweis auf stringente Bezugssysteme
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