- 7 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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eigene Zutat ist. Die vom sozialistischen Realismus gegen die ›formalistische‹ Avantgardetradition gerichtete Forderung nach Allgemeinverständlichkeit war ein von Felsenstein wie selbstverständlich geteilter Grundsatz.«10
10
ebd., S. 177

Dass sich Elemente des Theaters Felsensteins im Sozialistischen Realismus wiederfinden lassen, sei unbestritten. Dass darin die Vereinbarkeit Felsensteins mit der DDR-Kulturpolitik und ihrer Kunstdoktrin begründet ist, stimmt mit den Resultaten der vorliegenden Untersuchungen weitgehend überein. Jedoch hier, wie an vielen anderen Stellen andeutend, schreibt Braunmüller Felsenstein aus einem dem Sozialistischen Realismus verhafteten Standpunkt entwickelte Intentionen seiner Stückauffassung zu. Im Folgenden sei genauer erläutert, warum das fragwürdig erscheint.

Auf der Grundlage der Einordnung Felsensteins als Anhänger der geschlossenen Form des Dramas stellt Braunmüller fest: »Felsensteins Theater zeigte Figuren, die stets über eine absolute Handlungsfreiheit verfügen. Der Mensch sollte selbst im Augenblick einer Verinnerlichung [...] als autonom handelndes Individuum erscheinen.«11

11
ebd., S. 27

Braunmüller stellt zutreffend fest, dass dieses – der deutschen Klassik verpflichtete – Menschenbild in Teilen dem des Sozialistischen Realismus entspricht. Der Rückschluss, dass, wer etwa die Autonomie des handelnden Individuums auf der Bühne zeigt, dem Sozialistischen Realismus anhängt, ist selbstverständlich nicht zulässig. Es scheint fast so, dass Braunmüller an den Elementen des positiven Helden, der Wahrscheinlichkeitsaxiomatik und der Darstellung von über autonome Handlungsfreiheit verfügenden Figuren nicht nur avantgardistisches und damit seiner Ansicht nach zeitgemäßes Theater vermisst, sondern aus Felsensteins Parteinahme für diese Elemente entwickelt, dass jener dem Sozialistischen Realismus verpflichtet sei. Braunmüller stellt an vielen Stellen seiner Arbeit Felsensteins Verwurzelung mit der Form des geschlossenen Dramas fest und konstatiert daran anschließend oder unmittelbar vorausgehend eine von Felsenstein intendierte Nähe zum Sozialistischen Realismus. Fast mutet es so an, als wenn Felsensteins Ablehnung avantgardistischer Strömungen, die ihren Grund in seiner Parteinahme für die deutsche Klassik hat, – und die zweifelsfrei Bedingung dafür war, dass Felsenstein von der DDR-Kulturpolitik gefeiert wurde – als Beweis für seine Nähe zum Sozialistischen Realismus zu gelten habe. Dass sich diese »konservative« (Braunmüller) Haltung Felsensteins ebenso mit dem Standpunkt namhafter westdeutscher Kritiker, denen sicherlich keine Nähe zum Sozialistischen Realismus unterstellt werden kann, vertrug,12

12
vgl. Kap. 2.1.5 der vorliegenden Arbeit
mag schon ein Hinweis auf Felsensteins Differenz zur DDR-Kunstdoktrin sein. Aus Felsensteins Nähe zum Drama der geschlossenen Form ist auf die dem klassischen Idealismus verhafteten wirkungsästhetischen Theaterauffassung Felsensteins zu schließen, die wiederum Grund und Bedingung für Felsensteins Erfolg in beiden Teilen Deutschlands war.

In diesen Kontext gehört auch Braunmüllers Interpretation des Hoffmann als Identifikationsfigur, die mit einem Aufsatz Jürgen Schläders korrespondiert.13

13
vgl. dazu Fußnote 102, S. 97 der vorliegenden Arbeit

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