- 6 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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zöge. Er schlägt vor, eine Inszenierung daraufhin zu untersuchen, wo sie sich vom Werk entfernt und dann zu fragen, warum sie dies tut. Hierbei fasst er durchaus eine Differenz zum jeweiligen Werk ins Auge, lässt diese Differenz jedoch nur dann gelten, wenn zu erläutern ist, warum gerade die Intentionen eines Werkes einen Eingriff in es nötig machen. Gerade in dem, wie er die schöpferische Freiheit einer Inszenierung aus ihrer Differenz zum Werk betont, stellt er für jene als Kriterium und Grenze eben das Werk fest. Einen solchen die Dialektik vom Verpflichtetsein gegenüber dem Werk einerseits und andererseits dem Bewusstsein von der eigenschöpferischen Tätigkeit des Regisseurs genau in den Blick nehmenden Standpunkt unter die theatergeschichtliche Kategorie des Regietheaters zu subsumieren, weicht eben diesen Begriff auf. Eine derartige Verwendung des Begriffs würde hinter dessen konkrete inhaltliche Bestimmtheit, wie sie etwa Dahlhaus schon vorgeführt hat, zurückfallen.

Das oben angeführte Interview lässt zudem Felsensteins Distanz zum Sozialistischen Realismus erkennen. In seinen gesamten Untersuchungen wie auch in einem eigenen Kapitel widmet Braunmüller sich dem Verhältnis der Inszenierungen Felsensteins zur normativen Ästhetik des Sozialistischen Realismus in der DDR. Während Braunmüller vor allem aus den Bearbeitungen Übereinstimmungen mit dem Sozialistischen Realismus entwickelt, wird in der vorliegenden Arbeit der Nachweis der Vereinbarkeit des Schaffen Felsensteins mit der DDR-Kunstdoktrin über Felsensteins idealistische Wirkungsästhetik geführt.7

7
vgl. Braunmüller, S. 54ff und vorliegende Arbeit, S. 31ff.
Braunmüller kommt zu folgender Einschätzung: »Eine bejahende Kunst, die positive Werte vermittelt und einen positiven Helden als Identifikationsangebot bereithält: Mit diesen entscheidenden Elementen des sozialistischen Realismus stimmte Felsensteins Theater überein. Doch der Regisseur war, in der ideologischen Sprache der Zeit formuliert, ein mit der Arbeiterklasse verbündeter bürgerlicher Humanist. Die Grenze zur offenen Politisierung überschritt er, vom Fidelio-Film abgesehen, nicht.«8
8
ebd., S. 76

Trotzdem vermittelt Braunmüller an vielen Stellen9

9
vgl. ders. 58, 64, 71, insb. 178; siehe auch die Vereinnahmung Felsensteins durch die Kulturpolitik der SED, vgl z. B. S. 53)
den Eindruck, dass Felsensteins Kunst durchaus dem Sozialistischen Realismus verpflichtet war, indem er Elemente der Theaterauffassung Felsensteins – den positiven Helden, die Allgemeinverständlichkeit, die Autonomie handelnder Figuren – mit dem Sozialistischen Realismus assoziierte. So schreibt Braunmüller über den ›Hoffmann‹: »Dennoch (vorher wird der Konflikt zwischen Schöpfertum und Liebe als ›Variante des Widerstreits von Pflicht und Neigung‹ als beliebtes Schema konstatiert, eine Liebeshandlung mit der Problematik der Künstlerpersönlichkeit zu verbinden) drängt sich bei Felsensteins Bearbeitung der Verdacht auf, Hoffmann werde zum positiven Helden im Sinn des sozialistischen Realismus stilisiert. Im strengen Sinn ist dies zwar analytisch kaum faßbar, doch läßt sich diese Vermutung anhand offenkundiger Analogien zumindest präzisieren, insbesondere wenn man das von der Bearbeitung in den Zwischenakten transportierte Verständnis von Literatur heranzieht, das Felsensteins

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