- 64 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Keineswegs also verdoppelt bloß die Musik den Inhalt der Handlung in einer akustischen Welt, sondern drückt die innerliche Seite des Inhaltes unmittelbar aus, der ansonsten als sprachlicher vermittelt ist. So gelingt es der Musik, das subjektive Element einer betrachteten Handlung zu erzeugen, zu organisieren und fortzuführen. Der so dargestellte Affekt wird vom Zuschauer nicht bloß angeschaut, nicht nur eine Vorstellung von ihm gebildet, sondern der Rezipient versenkt »sich mit dem ganzen Gemüte« in die innerliche Seite der Handlung.

Wenn die Wirkung der Musik in der Oper sich darin erschöpfen würde, zu emotionalisieren, würde ihre Wirkung gewissermaßen eine leere Stimmung sein. Die Oper zeigt aber konkretisierte Innerlichkeit, sie hat einen besonderen Schmerz, Freude, etc. zum Gegenstand. Musik erklingt hier unter durch die jeweilige Handlung bestimmten Umständen, in besonderen Situationen.

»Dadurch erhält die Musik die fernere Aufgabe, in betreff auf den bestimmten Inhalt und die besonderen Verhältnisse und Situationen, in welche das Gemüt sich eingelebt hat und in denen es nun sein inneres Leben zu Tönen erklingen macht, dem Ausdruck selber die gleiche Besonderung zu geben.«38

38
Hegel, S. 200

Dem Verlauf der im Libretto gefassten Handlung als Abfolge von Situationen muss die Musik gemäßen Ausdruck verleihen. Der durch die Handlung bestimmte Inhalt ist der Inhalt derjenigen Empfindung, die die Musik darstellt und beim Zuschauer erzeugt. Erst wenn die Musik differenziert den jeweiligen Ausdruck findet,

»geht das Gemüt, je mehr es sich mit seiner ganzen Macht auf irgendeine Besonderung wirft, um so mehr zur steigenden Bewegung der Affekte und, jenem seligen Genuß der Seele in sich selbst gegenüber, zu Kämpfen und Zerrissenheit, zu Konflikten der Leidenschaften gegeneinander und überhaupt zu einer Tiefe der Besonderung heraus [...].«39

39
Hegel, S. ebd.

Handlung begriffen als Abfolge von Situationen, aus denen heraus die handelnden Figuren ihre Absichten verfolgen,40

40
»Was ist denn gegeben? Doch nur die Handlung und die aus der Handlung entstandene menschliche Situation. Aus ihr resultiert der Zustand des Darstellers und aus diesem Zustand seine weitere Handlung.« In. Felsenstein, Schriften, S. 120
ist in der Opernpartitur vorrangig als Libretto sprachlich vermittelt. Wenn diese Handlung zum Inhalt von Musik wird, also Situationen, die zur Anschauung gebracht werden, ihren musikalischen Ausdruck finden, so verlangt dies von der Musik, der Bestimmtheit des Handlungsganges zu folgen. Weiterhin ist eine Handlung erforderlich, deren innerliche Welt an Empfindung so reich und vielfältig ist, dass ihr musikalischer Ausdruck jenen »seligen Genuß der Seele sich selbst gegenüber« erzeugt.

Die Bestimmtheit vermittelt weitestgehend das Libretto. Es hat die der Musik dienende Aufgabe, mit relativ wenigen, klaren Worten die Situation zu verdeutlichen.

»Am passendsten dagegen für die Musik ist eine gewisse mittlere Art von Poesie [...], im Lyrischen wahr, höchst einfach, mit wenigen Worten die Situation und Empfindung andeutend; im Dramatischen ohne allzuverzweigte


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