- 63 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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der Kunst – und in ihr am ehesten der Musik – , den Menschen in diesen Bereichen von seiner Einsamkeit zu erlösen, die Menschen miteinander zu verbinden und sie an ihre Gemeinsamkeit glauben zu lassen.«34
34
ebd., S. 427

So ergibt sich für Felsenstein die Dominanz der Musik im Musiktheater: sie mache es aus. Durch sie seien Äußerungen möglich, die nur dort, im Musiktheater noch möglich seien.

In diesem Sinne ist auch innerhalb einer musikalischen Handlung der »geistige Inhalt«, den Musik in sich aufnimmt, erst einmal durch das Libretto konketisiert. Es werden Worte gesungen, die die Vorstellung eines bestimmten Inhalts hervorrufen. Die Musik als gesungenes Wort fällt jedoch nicht mit dem Wort auseinander, sondern erzeugt die der durch das Wort konkretisierte Vorstellung gemäße Empfindung.

»[...] die Stimme spricht singend zugleich Worte aus, welche die Vorstellung eines Inhaltes angeben, so daß nun die Musik als gesungenes Wort, wenn beide Seiten – Ton und Wort – nicht gleichgültig und beziehungslos auseinanderfallen sollen, nur die Aufgabe haben kann, den musikalischen Ausdruck diesem Inhalt – der als Inhalt seiner näheren Bestimmung nach vor die Vorstellung gebracht ist und nicht mehr der unbestimmteren Empfindung angehörig bleibt – soweit die Musik es vermag, gemäß zu machen.«35

35
Hegel, S. 191

Wenn der Inhalt einer Oper unabhängig von der Musik existieren und wesentlich durch das gesungene Wort in seinem Fortgang bestimmt würde, also die Musik der verbal konkretisierten Vorstellungen folgen würde, käme der Musik eine begleitende Aufgabe zu. Jedoch meint ›begleitende Funktion der Musik‹ nicht, dass die Musik dem Text dient, sondern das Gegenteil:

»Der Text steht im Dienste der Musik und hat keine weitere Gültigkeit, als dem Bewußtsein eine nähere Vorstellung von dem zu verschaffen, was sich der Künstler zum bestimmten Gegenstand seines Werkes auserwählt hat.«36

36
Hegel, S. 192

Denn das Wesen des musikalischen Kunstwerkes, das die Oper ist, besteht nicht in der Darstellung äußerer Erscheinungen, sondern darin, »Bewegungen der Seele« anzustoßen. Die Bewegungen sollen jedoch nicht abstrakte bleiben, sondern in der Form konkreter Empfindungen ablaufen. Somit dient der Text der Musik, ist jedoch unumgänglich und in seiner jeweils besonderen Art notwendig für die Oper. In diesem Sinn erübrigt sich die Frage nach dem Primat von Text oder Musik in der Oper.

Die Freiheit gegenüber der Welt der äußeren Erscheinungen macht dann wiederum die besondere Qualität des Musikalischen in der Oper aus, die darin besteht,

»daß sie den Inhalt nicht etwa in der Weise auffaßt, in welcher der Text denselben vorstellig macht, sondern sich eines Elementes bemächtigt, welches der Anschauung und Vorstellung nicht angehört.«37

37
Hegel, ebd.


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