- 65 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Verwicklung klar und lebendig, das einzelne nicht ausarbeitend, überhaupt mehr bemüht, Umrisse zu geben als dichterisch vollständig ausgeprägte Werke.«41
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Hegel, S. 206

Genau diese Ansprüche an das Libretto teilte Mozart seinem Vater in dem berühmten Brief vom 13.10.1781 über die Zusammenarbeit mit dem Librettisten der »Entführung aus dem Serail« mit.42

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Gerade in diesem Kontext lohnt es sich, die so oft zitierte Passage aus Mozarts Brief vom 13.10.1781 vollständig zu betrachten: » – bey einer opera muß schlechterdings die Poesie der Musick gehorsame Tochter seyn – um so mehr muß Ja eine opera gefallen wo der Plan des Stücks gut ausgearbeitet; die Wörter aber blos für die Musick geschrieben sind, und nicht hier und dort einem Elenden Reime zu gefallen /: die doch, bey gott, zum Werth einer theatralischen Vorstellung, es mag seyn was es wolle, gar nichts beytragen, wohl aber eher schaden bringen :/ worte setzen – oder ganze Strophen die des komponisten seine ganze idée verderben.- [. . . ] Da ist es am besten wen ein guter komponist der das Theater versteht, und selbst etwas anzugeben im stande ist, und ein gescheiter Poet, als ein wahrer Phönix, zusamen komen.«
Auch Verdis Forderung nach den »parole sceniche« verdankt sich der Notwendigkeit, dass in der Oper die Worte nur Umrisse geben sollten, damit die Spezifika der Empfindungen musikalisch ausgedrückt werden können.

Bisher sind Text und Handlung noch nicht unterschieden. Die die äußerliche Verlaufsform der Handlung bestimmenden Informationen sind, nachdem Beschaffenheit und Wirkung der Musik im musizierenden Theater als die innerliche Seite der Zustände und Situationen darstellend gefasst sind, zwar den sprachlichen Anteilen der Partitur vorbehalten, dem Libretto. Es wäre jedoch falsch, zu sagen, dass der Gang der Handlung allein verbalsprachlich vermittelt ist, denn die innere Seite einer Handlung, die Sphäre der Musik, kann sehr viel über die Absichten der betreffenden Figur verraten. Auch der Charakter einer Figur, der wesentlich den Gang einer Handlung beeinflusst, bestimmt sich durch die Art und Weise, wie diejenige Figur ihre inneren Zustände äußert, das ›Wie‹ der Äußerung ist integraler Bestandteil der Äußerung selbst. Die »Besonderung«, die konstitutiv für einen Inhalt ist, ist, weil sie Musik konkretisiert, auch durch Musik bestimmt. Wenn das Libretto sicherlich das Handlungsgerüst bestimmt, sind die Worte jedoch nicht unbedingt die wesentliche Konkretion der musikalischen Verläufe.

Die »vornehmliche Besonderung« auf der Bühne des Musiktheaters stellt die Personifizierung der Rolle durch den Darsteller mittels szenischer Handlungen dar. In ihnen realisiert sich die konkretisierende Funktion des Libretto-Textes, wodurch Gesang zu einer konkreten Äußerung werden kann. Erklingende Musik und Worttext sind im Musiktheater in den Bühnenfiguren und ihren Handlungen aufgehoben:

»Aber der gute Schauspieler zeigt mir über die Bühnenhandlung und den Text hinaus das ganze Leben der Figur. Er steigert dadurch meine Anteilnahme so sehr, daß meine Phantasie die Figur noch wirklicher macht, als er sie spielt.«43

43
Felsenstein: Schriften, S. 87

Erst die so zur Anschauung gebrachte Gegenständlichkeit der Handlung stellt die Konkretion der Musik dar. Diese Konkretion ist zwar im Libretto schon angelegt,


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