Entpolitisierung
und damit die Entdeckung ewiger, apolitischer Wahrheiten in den westdeutschen Rezensionen
entgegen.62
Über die inhaltliche Beschäftigung mit seiner Kunst hinaus ist Felsenstein allerdings ein Politikum gewesen. Jegliche Betrachtung der beiden existierenden politischen Systeme wurde unter der Voraussetzung des Systemvergleichs angestellt. Die Beweisführung der Leistungsfähigkeit des real existierenden Sozialismus gerade auch im westlichen Ausland wird einerseits eine Rolle dabei gespielt haben, sich die Existenz eines Institutes wie die Komische Oper Berlin zu leisten Andererseits wurde Felsenstein spätestens seit dem Mauerbau von der westlichen Presse ebenso als Politikum behandelt. Besonders deutlich wird diese Behandlung am Skandal, der anlässlich Felsensteins Rigoletto-Inszenierung an der Hamburgischen Staatsoper (fast) geschehen wäre. Die Bild-Zeitung hatte den 4. Rang zu lautstarken Protesten aufgerufen: »Wir haben Felsenstein aufgefordert, sich zu entscheiden, ob er ein Mauerstein des Ostens oder ein Felsenstein bei uns werden will.«63
Zwar wurde der Skandal durch den Hamburger Intendanten Rolf Liebermann und die seriöse Presse verhindert, aber den prinzipiellen Standpunkt der Bild-Zeitung durchzieht fast jede – auch seriöse – Kritik der Hamburger Aufführung. Das westliche Interesse an Felsenstein spricht Harald Gillen im Stader Tagesblatt vom 15.5.62 aus: »Der Österreicher Felsenstein, Intendant der Ostberliner Komischen Oper, der zur Zeit besten sowjetzonalen Bühne, Aushängeschild Ullbrichts, aber – das ist wichtiger – einer der letzten unabhängigen Geister jenseits der Mauer – ließ seine intensiv formende Hand in jedem Detail spüren [...].«64
Die Tatsache, dass Felsenstein überhaupt noch in der DDR arbeitete, stellte das Politikum dar. Dass Felsenstein in seinen Äußerungen über die DDR immer sehr zurückhaltend blieb, bedeutete für den westdeutschen Standpunkt, dass »einer der letzten unabhängigen Geister jenseits der Mauer« es unmöglich im Real existierenden Sozialismus aushalten könne. Dies war Felsensteins künstlerischer Arbeit jedoch keineswegs anzumerken. Es wurde einerseits bewusst von der künstlerischen Potenz Felsensteins abgesehen, die stand außer Frage. Andererseits wurde genau |