- 31 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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praktisch gemachten Interessen, sondern als Realisationsprozess eines Ideals zu begreifen. Deswegen fordert der Standpunkt des Sozialistischen Realismus von einer Rigoletto-Inszenierung die »Abrechnung mit unmenschlicher Selbstherrlichkeit und Despotie«. Monterones Fluch wird so zur Materialisierung des Auftrages der Menschheitsgeschichte, die Ideale der Humanität, an deren Verhinderung der verfluchte absolutistische Herzog durch seine Herrschaft beteiligt sei, zu verwirklichen.

Der westdeutsche Kritiker Claus-Henning Bachmann dagegen schreibt in der Frankfurter Rundschau vom 1.6.1962:

»Beherrschendes Moment von der Oper und der Aufführung ist Monterones Fluch; er verkehrt sich bei ›Rigoletto‹ in die aufsässige Geste.«58

58
Bachmann, Claus-Henning in: Frankfurter Rundschau v. 1.6.1962, zit. nach: SdAK, Berlin, Walter Felsenstein-Archiv, Nr. 528

Wenn der Fluch zur konkret politisch zu verstehenden Aussage wird, verkehre er sich. Von einer Verkehrung kann nur gesprochen werden, wenn zwar die politische Intention von Verdis Oper nicht bestritten werden, aber die Schicksalhaftigkeit des Fluches betont werden soll. Monterones Fluch, der das Gerechtigkeit bringende Schicksal anruft, soll keine Befreiungsbewegung auf den (geschichtlichen) Plan rufen, sondern appelliert vielmehr an ein überpersonales Walten des Schicksals.

Ein ähnlicher Standpunkt spricht auch aus Carl Dahlhaus Kritik in der Stuttgarter Zeitung vom 15.5.62:

»Er [Felsenstein] nahm die Kolportage als Tragödie ernst und ließ hinter dem Gewirr von Intrigen die tragische Dialektik sichtbar werden, daß gerade das, was Rettung verspricht, das Unheil herbeizieht.«59

59
Dahlhaus, Carl in: Stuttgarter Zeitung v. 15.5.62; zit. nach: SdAK, Berlin, Walter Felsenstein-Archiv Nr.528

Nicht die historische Einordnung der Charaktere in ihre Bedingtheit durch den Feudalismus, der so zur Grundlage der Verstrickungen und des Leides wird, sondern eine »tragische Dialektik« bewirke die Stückhandlung, die dann Abbild menschlichen Lebens überhaupt würde. Die »tragische Dialektik« des Scheiterns im praktischen Tun wird zur menschlichen Konstante, dem Menschen als ewig geltendes Gesetz aufgegeben. Politische Zwecke zu verwirklichen sei nur vordergründiger Ausgangspunkt menschlichen Handelns. Seiner Bestimmung folge der Mensch dagegen dann, wenn er angesichts des ewigen Scheiterns der guten Taten trotzdem nicht vom unerschütterlichen Willen, Gutes zu tun, ablässt. Die Kunst soll zeigen, dass sein Streben Idealen verpflichtet sein soll, deren Verwirklichung nicht am Aufgehen konkret-praktischer Interessen gemessen werden dürfe. Eine solche Betrachtungsweise würde das Wesen menschlichen Handelns, nämlich seine »tragische Dialektik [. . . ], daß gerade das, was Rettung verspricht, das Unheil herbeizieht«, ignorieren.

Eine weitere in diesem Sinn ›entpolitisierende‹ Betrachtung lässt sich in Joachim Kaisers Kritik in der Süddeutschen Zeitung vom 15.5.1962 finden. Kaiser widmet sich zunächst den »inszenierungswürdigen Charakteren«:

»Rigoletto selbst, buckliger und subalterner Hofnarr, offenbart sich als schizophrener. Im privaten Bezirk, das heißt in der Beziehung zu seiner Tochter,


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