- 30 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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»In Felsensteins Regiekonzeption beschränkt sich dieses musikalische Charakterdrama nicht auf die gruselige Kolportagegeschichte vom erfüllten Fluch gegen Rigoletto; das Werk wurde vielmehr zum Abbild gesellschaftlicher Zustände unter dem fürstlichen Absolutismus und damit, in um so schärferer Belichtung der Tragödie des schuldbeladnen Hofnarren, zu einer Abrechnung mit unmenschlicher Selbstherrlichkeit und Despotie.«55
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Lüdicke, Heino in: Neue Zeit vom 18.5.62; SdAK, Berlin, Walter Felsenstein-Archiv Nr. 528

Lüdicke wendet sich gegen die »Kolportagegeschichte vom erfüllten Fluch gegen Rigoletto«, da Rigolettos Leiden sich nicht einer übernatürlichen ahistorischen Instanz – einem Fluch – verdanken sollte, sondern als Resultat der gesellschaftlichen Zustände angesehen werden müssten, die er als zynischer ›Hofnarr‹ befördert, anstatt sich gegen sie zu entscheiden. Diese Unterscheidung nimmt auch Horst Seeger, der Dramaturg Felsensteins vor, wenn er von einer »Subjektivierung des Menschenbildes«56

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Seeger, Horst Probleme der Gestaltung des sozialistischen Menaschenbildes auf der Musikbühne, in: Theater der Zeit 10/1969
spricht. Sie sei der Grund dafür, dass keine Bühnenwerke bleibender Gültigkeit in der historischen Situation der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts innerhalb »bestimmter spätbürgerlichen literarischen und philosophischen Strömungen« entstanden seien. Erst die Parteilichkeit gegen den Faschismus – und für den Humanismus – »zeugte dagegen bekanntlich Werke von anhaltender Bedeutung«. Das Gütekriterium für Kunstwerke bestehe nicht zuletzt darin, Misstände vergangener Epochen dafür anzuklagen, dass sich dort an humanistischen Menschheitsidealen versündigt würde.

Was Seeger über die »spätbürgerliche« Oper sagt, könnte als die Anforderungen z. B. an ein Regiekonzept für den ›Rigoletto‹ verstanden werden:

»Der abwegige Charakter wurde und wird in der sogenannten modernen bürgerlichen Oper an die Stelle des außergewöhnlichen gesetzt – die Gesetzesfunktion des Menschenbildes erscheint aufgelöst.«57

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ebd.

Das Bizarre, Wundersame und Abwegige bestimme die Stückdramaturgie und nicht die Entfaltung eines Charakters aus seiner historischen Bestimmtheit, im Falle des Rigoletto eben die Täter- wie Opferrolle Rigolettos in der feudalistischen Gesellschaft. Die – zu Recht – überwundene Herrschaftsform des Feudalismus solle in ihrer ganzen Unmenschlichkeit dargestellt werden. Denn zu Recht überwunden sei der Feudalismus deswegen, weil er sich gegen die Humanität versündige.

Die Kritik an der vergangenen Herrschaftsform legitimiere deren Überwindung erst vom Blickwinkel eines Ideals aus. Denn nicht die praktische Verfolgung von Interessen »macht« Geschichte. Vielmehr versteht dieser Standpunkt die Emanzipation von einer Herrschaft als Verwirklichung eines außerhalb konkreter Interessen stehenden Geschichtsprozesses, dessen Ziel und Legitimation in der Verwirklichung humanistischer Ideale bestehe. Als einen Schritt auf dem Weg, dieses Ziel zu verwirklichen, verstand sich der real existierende Sozialismus. Eben daraus bezog er seine Legitimität. Dass eine eigene Legitimation ihm nötig erschien, hat seinen Grund in der Auffassung von Geschichte: Geschichte nicht als Konflikt von


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