Theater des Sozialistischen Realismus verlangt. Insofern greift der Sozialistische
Realismus explizit auf die deutschen Klassiker zurück. Er tut dies jedoch nicht, indem er
die Tragik menschlichen Handelns, also das vergebliche praktische Bemühen des
Menschen um die Idee des Guten, gestaltet, sondern den sittlichen Willen zum
Sozialismus bestärkt. Die Aufgabe des Menschen sei es, den Idealen der Menschheit
Realität zu verleihen, indem er den Sozialismus verwirklicht. Zu diesem Willen zu
erziehen, sei dann Aufgabe der Kunst.
Wie der Übergang vom klassischen Kunstbegriff zum Sozialistischen Realismus ›gelingt‹, sei an den folgenden Bemerkungen von dem Regisseur Hans Dieter Mäde48
»Felsenstein gewinnt seine Aufgabenstellung für das Theater von heute aus der schöpferischen Beziehung zur Tradition. Sie zielt auf die Totalität der menschlichen Existenz, auf den Menschen als »sinnliches und sittliches Wesen«. So haben die Klassiker gesagt, und wir fügen der Deutlichkeit halber hinzu: als gesellschaftlich und geschichtlich handelndes Wesen.«49
Der klassische Kunstbegriff »zielt auf die Totalität der menschlichen Existenz, auf den Menschen als ›sinnliches und sittliches Wesen‹«. Darauf zielt auch der Sozialistische Realismus. Mäde fügt jedoch noch, sich im Einklang mit der Klassik begreifend, hinzu, dass der Mensch ein geschichtlich handelndes Wesen sei. Das sittliche Wollen des geschichtlich handelnden Menschen bestehe in der Verwirklichung eines vorbestimmten Geschichtsprozesses, also des Sozialismus. In dieser selbstverständlichen Hinzufügung steckt die Antwort auf die Frage, wieso sich die klassische Kunsttheorie – in deren Grenzen sich Felsenstein bewegt – und deren Kunstwerke mit der Auffassung des Sozialistischen Realismus verträgt, denn: »Felsensteins Arbeit zeigte uns, wie sichtbar sich geradezu – und darin ist eine grundlegende Symbolik zu sehen – die humanistischen Aussagen und Sentenzen seiner Aufführungen mit den humanistischen Taten und Zielen unserer sozialistischen Gesellschaft verwoben.«50
Sozialismus, begriffen als Verwirklichung humanistischer Ideale, als »Realer Humanismus«, dessen Verwirklichung einen Geschichtsprozess hervorbringt, stellt an seine Kunst die gleichen Aufgaben, die die Kunst des klassischen Idealismus dem damals progressiven bürgerlichen Staat zu erfüllen anbot: »Nicht weniger ließen sich – verstünden es die Oberhäupter und Vormünder des Staates – von der Schaubühne aus die Meinungen der Nation über Regierung und Regenten zurechtweisen. Die gesetzgebende Macht spräche hier durch fremde Symbole zu dem Untertan, verantwortete sich gegen seine Klagen, noch ehe sie laut werden, und bestäche seine Zweifelsucht, ohne es zu scheinen. Sogar Industrie und Erfindungsgeist könnten und würden vor dem Schauplatze Feuer fangen, wenn die Dichter es der Mühe wert hielten, Patrioten zu sein, und der Staat sich herablassen wollte, sie zu hören.«51
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