- 27 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Theater des Sozialistischen Realismus verlangt. Insofern greift der Sozialistische Realismus explizit auf die deutschen Klassiker zurück. Er tut dies jedoch nicht, indem er die Tragik menschlichen Handelns, also das vergebliche praktische Bemühen des Menschen um die Idee des Guten, gestaltet, sondern den sittlichen Willen zum Sozialismus bestärkt. Die Aufgabe des Menschen sei es, den Idealen der Menschheit Realität zu verleihen, indem er den Sozialismus verwirklicht. Zu diesem Willen zu erziehen, sei dann Aufgabe der Kunst.

Wie der Übergang vom klassischen Kunstbegriff zum Sozialistischen Realismus ›gelingt‹, sei an den folgenden Bemerkungen von dem Regisseur Hans Dieter Mäde48

48
Hans Dieter Mäde, Mitglied des ZK, legte u. a. 1964 in Karl-Marx-Stadt eine vor allem im Zusammenhang mit der »Erbe«-Diskussion vielbeachtete Inszenierung des ›Hamlet‹ vor. Vgl. Schlenker, Wolfgang: Das »kulturelle Erbe« in der DDR, Metzler, Stuttgart 1977, darin v.a. S. 181f.
über Felsenstein aufgezeigt.

»Felsenstein gewinnt seine Aufgabenstellung für das Theater von heute aus der schöpferischen Beziehung zur Tradition. Sie zielt auf die Totalität der menschlichen Existenz, auf den Menschen als »sinnliches und sittliches Wesen«. So haben die Klassiker gesagt, und wir fügen der Deutlichkeit halber hinzu: als gesellschaftlich und geschichtlich handelndes Wesen.«49

49
Mäde, Hans Dieter: Ideelle Grundlagen einer Methode, in: Theater der Zeit 3/1966

Der klassische Kunstbegriff »zielt auf die Totalität der menschlichen Existenz, auf den Menschen als ›sinnliches und sittliches Wesen‹«. Darauf zielt auch der Sozialistische Realismus. Mäde fügt jedoch noch, sich im Einklang mit der Klassik begreifend, hinzu, dass der Mensch ein geschichtlich handelndes Wesen sei. Das sittliche Wollen des geschichtlich handelnden Menschen bestehe in der Verwirklichung eines vorbestimmten Geschichtsprozesses, also des Sozialismus. In dieser selbstverständlichen Hinzufügung steckt die Antwort auf die Frage, wieso sich die klassische Kunsttheorie – in deren Grenzen sich Felsenstein bewegt – und deren Kunstwerke mit der Auffassung des Sozialistischen Realismus verträgt, denn:

»Felsensteins Arbeit zeigte uns, wie sichtbar sich geradezu – und darin ist eine grundlegende Symbolik zu sehen – die humanistischen Aussagen und Sentenzen seiner Aufführungen mit den humanistischen Taten und Zielen unserer sozialistischen Gesellschaft verwoben.«50

50
Lange, W.: Im Sinne Felsensteins, in: Theater der Zeit 12/1975

Sozialismus, begriffen als Verwirklichung humanistischer Ideale, als »Realer Humanismus«, dessen Verwirklichung einen Geschichtsprozess hervorbringt, stellt an seine Kunst die gleichen Aufgaben, die die Kunst des klassischen Idealismus dem damals progressiven bürgerlichen Staat zu erfüllen anbot:

»Nicht weniger ließen sich – verstünden es die Oberhäupter und Vormünder des Staates – von der Schaubühne aus die Meinungen der Nation über Regierung und Regenten zurechtweisen. Die gesetzgebende Macht spräche hier durch fremde Symbole zu dem Untertan, verantwortete sich gegen seine Klagen, noch ehe sie laut werden, und bestäche seine Zweifelsucht, ohne es zu scheinen. Sogar Industrie und Erfindungsgeist könnten und würden vor dem Schauplatze Feuer fangen, wenn die Dichter es der Mühe wert hielten, Patrioten zu sein, und der Staat sich herablassen wollte, sie zu hören.«51

51
in: Schiller, Friedrich: Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken? (Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet) in: ders.: Sämtliche Werke, 5. Band, S. 818ff., Carl Hanser-Verlag, München, 1975, s. S. 829


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