- 28 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Mit dem Verweis auf die Leistungen einer politischen Kunst, die dem Volk die Zwecke der Nation nahebringt, ohne (weil als Kunst und nicht als Propaganda!) in den Verdacht der Demagogie zu geraten, anempfiehlt Schiller 1784 die Kunst einem jungen Nationalstaat. Indem die Kunst die gesellschaftliche Aufgabe erfüllen solle, den sittlichen Willen zum Sozialismus hervorzurufen und zu bestärken, weist der Historische Materialismus der Kunst die Rolle als politisch-ideologisches Beeinflussungsmittel zu.

Zentral für eine Beurteilung von Felsensteins Verhältnis zum Sozialistischen Realismus ist der Begriff des ›Erbes‹, da Felsenstein vornehmlich Repertoire-Werke aufführte. Die Möglichkeit, Werke bürgerlicher Komponisten zu adaptieren, ergibt sich wiederum aus dem Geschichtsbegriff des »Historischen Materialismus«: Da Geschichte sich immer schon auf dem Weg zum Sozialismus befand, weisen Werke progressiver Autoren die Tendenz dieses »historischen Prozesses« schon auf.52

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»Auf solchen Grundlagen konnte auch die besondere Rolle, die die ›Deutsche Klassik‹ des 18. und frühen 19. Jahrhunderts in der politischen und kulturpolitischen Argumentation der Parteiführung spielte, klassenmäßig eindeutig bestimmt werden, indem ihre Ideen und künstlerischen Gestaltungen in einem engen Zusammenhang mit den epochalen Umwälzungen der Französischen Revolution und Konterrevolution, Okkupation und nationalem Befreiungskrieg, zwischen Krieg und Frieden, Ideal und Wirklichkeit, aber auch zwischen kultureller Höhe und gesellschaftlicher Zurückgebliebenheit zum Tragen kamen und in bedeutenden kulturellen Leistungen überliefert wurden, waren der Ausgangspunkt für die aktuelle Aneignung dieses Erbes in der DDR.« in: Autorenkollektiv Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED: Die SED und das kulturelle Erbe, Dietz, Berlin 1986, 168. Zur Konzeption der Aneignung des kulturellen Erbes siehe auch: ebd., S. 160–189

Eine vollständige Darstellung des Werdeganges der Erbe-Diskussionen – wenn auch immer unter dem interessierten Blickwinkel, dass die Aneignung des Erbes in der DDR sich »zu leicht gemacht wurde« – ist zu finden in Schlenker, W.: Das »Kulturelle Erbe« in der DDR, Metzler, Stuttgart 1977

Felsenstein stellt über die »bedeutenden Werke der Vergangenheit« in einem 1962 mit Hans-Rainer John geführten Gespräch fest:

»Ihre Helden sind nicht nur Träger großer menschlicher Grundgefühle, wie Liebe, Trauer, Haß, Neid, Freude, Eifersucht, sondern sie setzen sich auch mit diesen Emotionen auseinander, reifen an ihnen und erkämpfen sich dadurch eine neue Stufe menschlicher Ethik und Moral. Indem wir solche inneren Entwicklungen in eine konkrete historische Umwelt stellen, gewinnen wir sie für unsere Gegenwart als echte ›Gegenwartsstücke‹.«53

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Felsenstein, Schriften, S. 107f.

Die »innere Reifung« zu zeigen, die die »Auseinandersetzung mit Emotionen« in einer »historischen Umwelt« ermöglicht, und diese »Reifung« als »neue Stufe menschlicher Ethik und Moral«, also als Teil des geschichtlichen Prozesses zum »Realen Humanismus« im Sozialismus zu begreifen, erfüllt genau die Anforderungen des Sozialistischen Realismus, ohne dies explizit auszuführen. Kunst spiegelt, wenn ihr Autor eine progressive Haltung einnimmt, durch Beachten ihrer jeweiligen spezifischen Gesetzmäßigkeiten und genügender Hinwendung zum »Leben« Wirklichkeit in der Form wieder, dass ihr Wesen erfasst wird. Das Wesen ist die Prozessualität der Geschichte, ihre Tendenz zum Sozialismus. Durch die neue, aber unmittelbar


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