- 25 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Hier schließt sich Felsensteins oft geäußerte Auffassung an, welche immanenten Gesetze Musiktheater bedingen. Realismus entstünde also durch Beachten der immanenten Gesetze des Theaters. Wirkliches Musiktheater bezieht seine Bestimmung ausschließlich aus eben den immanenten Gesetzen des Musiktheaters: Singen muss Darstellung werden, »musikalische Handlung mit singenden Menschen zur theatralischen Realität und vorbehaltlosen Glaubhaftigkeit«, dann verwirkliche sich Musiktheater und ermögliche ein »echtes Theatererlebnis«. Die »vorbehaltlose Glaubhaftigkeit« der Darsteller für das Publikum ließe Theater zu einem wirklichkeitsüberschreitenden Ereignis werden. So führe die Verwirklichung realistischen Musiktheaters durch Beachtung seiner ästhetischen Gesetze (das »Schöne«) zu etwas, das »wahr« sei. Die Oper würde dadurch in das Ensemble der klassischen Künste aufgenommen und könnte eben deren Wirkungen zeitigen.

Die Verständlichkeit der Bühnenhandlung sei Bedingung dafür, dass Theater seine Wirkung entfalten kann: das ›Gute, Wahre, Schöne‹ darzustellen. Dadurch werde der Zuschauer unterhaltend seinem Alltag enthoben: Das echte Theatererlebnis entstehe also, wenn ein Spiel stattfindet, das von der Bühne ausgehend das Publikum in seinen Bann zieht. Weiterhin verbürge den Kunstcharakter des Theaters erst seine Qualität, ethische Werte zur konkret-anschaulichen Darstellung zu bringen. Damit könne insbesondere das Theater bewirken, »poetische Wahrheit« dem Zuschauer sinnlich nahe zu bringen:

»[...] da wird eine Liebesgeschichte gespielt, wie sie der Flüchtling aus dem Alltag [der theaterinteressierte Zuschauer] zwar nie selbst erlebt hat, aber immer schon erleben zu können wünschte. Oder eine Tat, sei es nun eine heroische oder eine entsagende, die er deshalb bewundert, weil er wünscht, sich selbst so verhalten zu können. Da werden diese Leute bei der Nase gepackt, sie werden gezwungen, sich selbst an der Nase zu packen. Ethisches spielt mit.«41

41
ebd., S. 74

Den Wunsch, »sich selbst so verhalten zu können« wie die jeweilige Kunstfigur, soll die Kunst erwecken und verstärken, jedoch nicht durch ›trockenes‹ Moralisieren, sondern indem – ganz der Forderung Schillers entsprechend – die Einbildungskraft des Zuschauers angesprochen wird.

»Wenn ich einem Spiel [auf der Bühne] zuschaue und darin etwas sehe, das ich wunderschön finde und das mir bisher unerreichbar war, aber doch nicht nur ähnlich, sondern oft geradezu identisch mit meinen Wünschen – dann ist dieses Spiel, indem es meine Wünsche befriedigt, imstande, mich dorthin zu erheben, wohin ich ohne das Spiel nie gelangen könnte.«42

42
ebd.

Die sinnliche Seite des Zuschauers soll berührt, sie soll »befriedigt« werden. Wenn sie von einer bestimmten Art von Handlungen befriedigt wird, nämlich von moralischen Handlungen, die den Sieg über die Sinnlichkeit zum Inhalt haben, dann wird dem Zuschauer mit dem Theater die Möglichkeit gegeben, sich »dorthin zu erheben wohin ich [der Zuschauer] ohne das Spiel nie gelangen könnte«. Auf das Erhobensein, die innerliche Erbauung an der sinnlich-genussvollen Wahrnehmung des Reiches der Idealität, zielt eine solche Kunst.


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