- 158 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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dramatischen Grund, gegenständliche Stückhandlung (auch als realisierte Bühnenhandlung) und Musik vermittelte, als ausgesprochen nützliches Kriterium. Bezogen auf eine Stückhandlung wurden musikalische Parameter für eben die Handlung beredt. Sie konstituierten Aussagen – ob durch harmonischen Verlauf (Jagos »Credo«, ›Füchslein‹-Intermezzo), als musikalische Charakteristik (Chöre in ›Traviata‹ und ›Hoffmann‹), durch die musikdramaturgisch bestimmte Handlung (der Antonia-Akt im ›Hoffmann‹) oder durch die musikalische Form (Arie der Violetta aus dem I. Akt ›Traviata‹). Freilich trifft dieses Instrumentarium nur auf Opernwerke zu, die wiederum die musikästhetische Prämisse teilen, durch musikalische Mittel Gefühlsschilderungen hervorzubringen. Einem realistischen Verständnis von Musik, das verlangt, im Theater erklingende Musik brauche einen Grund, der der dargestellten Wirklichkeit einer Gefühlsschilderung handelnder Figuren entnommen ist, entgegenzuhalten, Musik sei eine Sprachkonvention in der Oper, verkennt die ästhetischen Grundlagen der betreffenden Werke.4
4
vgl. dazu auch: ders.: Zur Dramaturgie der Literaturoper, in: ebd. S. 294ff., insbesondere S. 296.

Warum Felsenstein seine Arbeit gerade dem Musiktheater widmete, welche Wirkungen er sich besonders von der Musik erhoffte, wird ansatzweise deutlich bei der Betrachtung eines Problems, das aufgrund des Verhältnisses von Sprache und Musik in seiner ›Hoffmann‹-Inszenierung auftauchte: »Eine andere akustische Schwierigkeit ergab sich bei der mit Dialogen durchsetzten ›Hoffmann‹-Verfilmung. Es stellte sich heraus, daß die innere wie die tatsächliche tonliche »Höhe« bei Gesang und Sprache doch von Natur aus so unterschiedlich sind, daß ein nahtloser Übergang vom Dialog zum Gesang sich auf normalem Wege nicht erreichen läßt. Da wir keinerlei Doubles benutzen wollten und als selbstverständlich voraussetzten, daß die Handlung lückenlos – gleichgültig, ob mit dem Mittel der Sprache oder dem des Singens – ›musiziert‹ wird, hatten wir eine Dialog-›Höhe‹ zu finden und zu probieren, die einen organischen Übergang von einem Mitteilungsmedium zum anderen ermöglichte.«5

5
Felsenstein, Schriften, S. 182

Die merkwürdig anmutende Formulierung Felsensteins, »mit dem Mittel der Sprache zu ›musizieren‹« erklärt sich aus Felsensteins Begriff der musikalischen Handlung, die Zustände der handelnden Figuren entstehen lässt, die musikalisch ausgedrückt werden. Nur diejenigen Zustände seien Elemente einer musikalischen Handlung, die als Sonderform einer dramatischen Handlung die Substanz des Musiktheaters bildeten.

Obwohl Musik in Felsensteins Auffassung sprachähnliche Qualitäten hat,6

6
vgl. Felsenstein, Schriften, S. 491
weisen durch sie ausgedrückte Inhalte Besonderheiten auf. Jene arbeitet Felsenstein durch einen Vergleich mit der Wortsprache heraus, wobei er die Wortsprache eher der durch Wissenschaft und Aufklärung entzauberten Welt zuordnet, während die Musik einer Sphäre von Natur und Ursprünglichkeit zugewiesen wird, die zunehmend durch die rationalisierte Welt verschüttet, aber noch als ein Aussagebedürfnis im Menschen wach sei. Diese Verwurzelung des Menschen in seiner Natur könne in der Musik noch Ausdruck finden:


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