- 15 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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»Wir [Zuschauer und Darsteller] spielen zusammen, dadurch hört mein Dasein als Zuschauer auf und ebenso sein Dasein als Schauspieler, mein Wissen vom Spiel ist verschwunden, und ich empfinde das Geschehen wahrer als jede Wirklichkeit.«9
9
ebd., S. 87

Der Anteil des Darstellers an jenem Spiel bestehe darin, sich in die betreffende Figur zu verwandeln:

»Aber der gute Schauspieler zeigt mir über die Bühnenhandlung und den Text hinaus das ganze Leben der Figur. Er steigert dadurch meine Anteilnahme so sehr, daß meine Phantasie die Figur noch wirklicher macht, als er sie spielt.«10

10
ebd.

Der Schauspieler verlebendigt Text und Bühnenhandlung, er zeigt »das ganze Leben der Figur«. Dass sie jetzt eine Realität erhalten, ermöglicht dem Zuschauer, die Vorgänge auf der Bühne nicht nur zu verstehen, sondern auch an ihnen teilzunehmen.

Diese Teilnahme bezeichnet Felsenstein als »schöpferisch«, sie ist eine ›Eigenarbeit‹ des Zuschauers. Teilnahme bedeutet, dass das Bühnenspiel mir meine schon gemachten Erfahrungen nicht nur erinnert, sondern mich auch geradezu zwingt, mir diese auf eine bestimmte neue Art zu vergegenwärtigen, bestimmt durch die erlebten Bühnenvorgänge. Der Zuschauer soll sich selbst auf der Bühne gewissermaßen virtuell entwerfen. Sein »Dasein als Zuschauer hört auf«: das meint nicht selbstvergessenen Rausch, im Gegenteil, der Zuschauer rückt seine Lebenserfahrung in einen neuen Kontext, überprüft dadurch unweigerlich die Wirklichkeit aus der er kommt und erkennt sie neu. Ein solcher, durch das Zustandekommen des ›Spieles‹ ermöglichter Erkenntnisprozeß ließe Theater »wahrer als jede Wirklichkeit« werden.

Weil der Schauspieler sich in die darzustellende Figur verwandelt, kann der Zuschauer dieser Darstellung die Realität eines Erlebnisses verleihen, er wird Mitspieler.

»Diese Metamorphose, diese Vereinigung im Spiel und Widerspiel ergreift – wenn sie zustande kommt – den ganzen Raum. Es ist das eigentliche Phänomen des Theaters, das nur ihm eigen ist, unverwechselbar und ewig.«11

11
ebd.

Solange das Spiel andauert, verliert es seine Künstlichkeit für die Spieler. Sein »Schein der Realität« ist konstitutiv für das Theatererlebnis.12

12
vgl. Brauneck, Manfred: Theater im 20. Jahrhundert. Programmschriften, Stilperioden, Reformmodelle, Reinbek bei Hamburg, 1986, S. 17f.

Das echte Theatererlebnis entsteht also, wenn ein Spiel stattfindet, das von der Bühne ausgehend das Publikum in seinen Bann zieht. Felsenstein stellt eine »gewisse Verwandtschaft der Lust am Spiel mit dem reinen Unterhaltungsbedürfnis«13

13
in Felsenstein, Walter / Melchinger, Siegfried: Musiktheater, Schünemann Verlag, Bremen, 1961, S. 72
fest. Das Unterhaltungsbedürfnis habe seine Grundlage im Alltag der Menschen,

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