- 16 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (15)Nächste Seite (17) Letzte Seite (180)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

dessen Unabänderlichkeit das Interesse der Menschen an einer andersartigen Welt, an neuen Erlebnissen hervorrufe. Die Abkehr von den alltäglichen Notwendigkeiten bestimmt das Unterhaltungsbedürfnis.

»Es ist das Andersartige daran, das reizt. Dazu kann zweifellos auch der Genuß eines theatralischen Vorgangs gehören.«14

14
ebd.

Das Gemeinsame vom Unterhaltungsbedürfnis und der Lust am Spiel bestehe folglich in der Abkehr von der alltäglichen Realität. Mit diesem »Reiz des Andersartigen«15

15
vgl. ebd.
operiere auch das Theater als Ort für die »Lust am Spiel«, es unterscheide sich aber von der Unterhaltung dadurch, dass es dieses Interesse lenken müsse. Dieses »echte Theatererlebnis« soll im Dienst einer höheren Wirklichkeit stehen. Kunst soll eine »poetische Wahrheit« darstellen. Da die herkömmliche »Opernbranche« dies nicht tut, stellt Felsenstein die Frage, wie die Oper wieder zu einer respektablen Kunstform wird.

Felsenstein entwickelt seine Vorstellungen von Musiktheater als Gegenbegriff zur traditionellen Oper, von ihm bewusst despektierlich als »Opernbranche« bezeichnet. An ihr hat er auszusetzen, dass sie die »echte theatralische Vision« eines Komponisten ignoriere und das Werk des leeren Genusses wegen aufführe. Indem die Elemente der Oper – Musik, Wort und Szene – voneinander getrennt würden, ermögliche dies nur einen äußerlichen Effekt anstelle eines den Zuschauer tief berührenden Theatererlebnisses. Es ist Felsensteins Absicht, die Oper als theatralische Kunstform zu restituieren.16

16
vgl. dazu auch Steinbeck, Dietrich: Wer hat Angst vor Walter Felsenstein in: Kobán, Ilse (Hrsg.): Walter Felsenstein. Theater (Gespräche, Briefe, Dokumente), Berlin: Edition Hentrich, 1991, S. 199–211
Theater mache aus, ein »echtes Theatererlebnis« zu bieten. Dies verwirkliche sich in der »Metamorphose von Spiel und Wiederspiel«, von der Darsteller wie Zuschauer ergriffen würden und die Theater zu einem wirklichkeitsüberschreitenden Ereignis werden ließe. Voraussetzung dafür sei die Glaubhaftigkeit der Darstellung einer ›Handlung‹. Da ein singender Mensch nicht unmittelbar glaubhafte Äußerungen von sich gebe, verlange der Anspruch ans Musiktheater, eben Theater zu sein, dass es unmittelbar anschaulich mache, warum dort gesungen würde. Die Beantwortung dieser Frage führe zum »Anlass« vom Singen auf der Bühne. Der Anlass dafür, sich »nurmehr singend äußern zu können« etabliere eine musikalische Handlung, die aus der Abfolge von nur verbal nicht vermittelbaren Zuständen bestehe. Die musikalische Bestimmtheit des zu äußernden Zustandes verlange von seiner Darstellung ein hohes Maß an Außergewöhnlichkeit. Jedoch müsse auch eine solche Darstellungsweise glaubhaft sein, was verlange, dass der Darsteller ganz in seiner Rolle aufgehe und mit der darzustellenden Figur identisch werde.

Felsenstein entnimmt die Kriterien für die Glaubhaftigkeit von Bühnenvorgängen der Realität. Da gesungene Äußerungen »irreal« seien, fordert Felsenstein von der Welt auf der Bühne, dass sie aus außergewöhnlichen Zuständen, bzw. deren Äußerungen besteht, die ihre musikalische Vermittlung wiederum glaubhaft werden lassen. Nur so könne die ästhetische Wirklichkeit der Bühne wie ihr Gegenbild,


Erste Seite (i) Vorherige Seite (15)Nächste Seite (17) Letzte Seite (180)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 16 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch