dessen
Unabänderlichkeit das Interesse der Menschen an einer andersartigen Welt, an neuen
Erlebnissen hervorrufe. Die Abkehr von den alltäglichen Notwendigkeiten bestimmt das
Unterhaltungsbedürfnis.
»Es ist das Andersartige daran, das reizt. Dazu kann zweifellos auch der
Genuß eines theatralischen Vorgangs
gehören.«14
Das Gemeinsame vom Unterhaltungsbedürfnis und der Lust am Spiel bestehe
folglich in der Abkehr von der alltäglichen Realität. Mit diesem »Reiz des
Andersartigen«15
operiere auch das Theater als Ort für die »Lust am Spiel«, es unterscheide sich aber von
der Unterhaltung dadurch, dass es dieses Interesse lenken müsse. Dieses »echte
Theatererlebnis« soll im Dienst einer höheren Wirklichkeit stehen. Kunst soll eine
»poetische Wahrheit« darstellen. Da die herkömmliche »Opernbranche« dies nicht tut,
stellt Felsenstein die Frage, wie die Oper wieder zu einer respektablen Kunstform
wird.
Felsenstein entwickelt seine Vorstellungen von Musiktheater als Gegenbegriff zur
traditionellen Oper, von ihm bewusst despektierlich als »Opernbranche« bezeichnet. An
ihr hat er auszusetzen, dass sie die »echte theatralische Vision« eines Komponisten
ignoriere und das Werk des leeren Genusses wegen aufführe. Indem die Elemente der
Oper – Musik, Wort und Szene – voneinander getrennt würden, ermögliche dies
nur einen äußerlichen Effekt anstelle eines den Zuschauer tief berührenden
Theatererlebnisses. Es ist Felsensteins Absicht, die Oper als theatralische Kunstform zu
restituieren.16
vgl. dazu auch Steinbeck, Dietrich: Wer hat Angst vor Walter Felsenstein in: Kobán,
Ilse (Hrsg.): Walter Felsenstein. Theater (Gespräche, Briefe, Dokumente), Berlin: Edition
Hentrich, 1991, S. 199–211
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Theater mache aus, ein »echtes Theatererlebnis« zu bieten. Dies verwirkliche sich in der
»Metamorphose von Spiel und Wiederspiel«, von der Darsteller wie Zuschauer ergriffen
würden und die Theater zu einem wirklichkeitsüberschreitenden Ereignis werden ließe.
Voraussetzung dafür sei die Glaubhaftigkeit der Darstellung einer ›Handlung‹. Da ein
singender Mensch nicht unmittelbar glaubhafte Äußerungen von sich gebe, verlange der
Anspruch ans Musiktheater, eben Theater zu sein, dass es unmittelbar anschaulich
mache, warum dort gesungen würde. Die Beantwortung dieser Frage führe zum »Anlass«
vom Singen auf der Bühne. Der Anlass dafür, sich »nurmehr singend äußern zu können«
etabliere eine musikalische Handlung, die aus der Abfolge von nur verbal nicht
vermittelbaren Zuständen bestehe. Die musikalische Bestimmtheit des zu äußernden
Zustandes verlange von seiner Darstellung ein hohes Maß an Außergewöhnlichkeit.
Jedoch müsse auch eine solche Darstellungsweise glaubhaft sein, was verlange, dass der
Darsteller ganz in seiner Rolle aufgehe und mit der darzustellenden Figur identisch
werde.
Felsenstein entnimmt die Kriterien für die Glaubhaftigkeit von Bühnenvorgängen der
Realität. Da gesungene Äußerungen »irreal« seien, fordert Felsenstein von der Welt auf
der Bühne, dass sie aus außergewöhnlichen Zuständen, bzw. deren Äußerungen besteht,
die ihre musikalische Vermittlung wiederum glaubhaft werden lassen. Nur so könne die
ästhetische Wirklichkeit der Bühne wie ihr Gegenbild,
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