- 141 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Sinn wird erschlossen. Deutlich wird hier, dass Felsenstein, der immer vom musizierenden Theater sprach, darum weiß, dass auch Sprache als Bedeutungsträger dem Musiktheater inhärent ist und nicht bloßes Vehikel der Musik.

Diese Erkenntnisse über die Pariser Lebewelt entfaltet Felsenstein dann wiederum, um spezifische musikalische Charakteristika einer Chorstelle zu einer szenischen Aussage, Musik zu einer Handlungsaussage zu machen.

3.8.4.  Bedeutung des Chores

Im Rahmen seines ›Traviata‹-Vortrages äußert sich Felsenstein grundsätzlich über Chöre. Sein Ausgangspunkt besteht in der Beurteilung der Tatsächlichkeit des realen Vorganges, er fragt sich:

»[...] wieso singen jetzt vierzig Leute gleichzeitig dieselben Töne mit denselben Worte, ohne sich vorher verständigt zu haben.«208

208
ebd., S. 10

Nicht in der Konvention209

209
»Immer wieder stoße ich in der Arbeit auf einen der schwersten Fehler, der nicht nur unbewußt begangen wird, sondern als Fehler unbekannt ist: die Musik als eine Gegebenheit zu betrachten, statt als ganz ungewöhnliche Äußerung.« vgl. Felsenstein, Schriften, S. 127
verschiedener Opernstile sieht Felsenstein eine Begründung für solche Stücke, sondern er versucht, die Begründung aus der Tatsache, dass eine große Anzahl von Menschen das Gleiche singen, zu entfalten. Dabei greift er auf die Realität der in der jeweiligen Szene auftretenden Phänomene und nicht auf operngeschichtliche Konventionen zurück:

»Das ist ein überhöhtes Mittel, zu zeigen, wie eine Anzahl von Menschen, manchmal ist es eine Gemeinde, manchmal sind es Fremde untereinander, das ist verschieden, aber von einer bestimmten Psychose ergriffen, was es sogar im Leben geben soll, von einer bestimmten Psychose ergriffen im Augenblick alle dasselbe tun, ohne einander zu kennen oder sich verständigt zu haben.«210

210
Transkription, S. 10

Was Felsenstein mit Psychose meint, wird erst vollständig klar, wenn man seine Interpretation der Festgesellschaft, die wesentlich durch die Rolle des Chores im I. Akt bestimmt ist, insgesamt in den Blick nimmt. Sie beginnt mit der musikalischen Charakterisierung der kurzen Chor-Stelle (»Ja, wir leben allein dem Genuss«).


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