Mit ›dramatischer Handlung‹ ist keineswegs nur der im Libretto sprachlich
vermittelte Gang der Handlung gemeint. Sein damaliger Mitarbeiter Götz Friedrich
fasste den Begriff der Handlung als »die körperlich gewordene, sinnlich-konkrete
Fabel-Linie«.157
Friedrich, Götz: Musiktheater, Frankfurt/Main, Berlin, 1986, S. 27
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Während der Begriff der ›Fabel-Linie‹ die sinnstiftende Anordnung der Ereignisse in
einem Theaterstück betont, also die Abfolge der Situationen, die die Figuren
durchlaufen, indem sie handelnd ihre Interessen verfolgen, verweist Friedrichs Betonung
der Körperlichkeit darauf, dass erst die Handlung als Bühnenhandlung, also
als aufgeführte oder für die Aufführung gedachte, den Anforderungen eines
Handlungsbegriffs auf dem Feld des Theaters vollends gerecht wird. Dass auch
Felsenstein die konkrete Anwendbarkeit des Handlungsbegriffs für die Stückanalyse im
Auge hat, zeigt sich daran, dass er den Zuschauer mitdenkt, wenn er von ›Handlung‹
spricht:
»Je mehr die Handlung und die gezeigten Charaktere in die Vorstellungswelt
der Zuschauer eingreifen und ihre
Gedankengänge über das eigene Leben berühren, desto mehr interessiert das
Stück.«158
Felsenstein, Schriften, S. 86
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Der Zuschauer ist hier keineswegs nur als Adressat wichtig, sondern er wird zur Instanz,
die darüber entscheidet, ob eine Bühnenhandlung dramatisch ist. Das wird sie dann,
wenn sie dadurch, dass sie ›in die Vorstellungswelt des Zuschauers eingreift‹, den
Zuschauer unmittelbar ergreift. Die Ergriffenheit des Zuschauers im Musiktheater wird
nach Felsensteins Auffassung durch konkret gewordene, d. h., durch szenische Vorgänge
anschaulich gemachte Gehalte musikalischer Vorgänge hervorgerufen, die aber nicht auf
ihren Bedeutungsgehalt zu reduzieren sind, sondern in ihrer sinnlichen Qualität
als Musik gewordene Handlung ebenso von einer Stückanalyse erfasst werden
müssen.
Felsenstein fasst die ›Handlung‹ als das »Grundelement
des Theaters, die für jegliches Bühnendasein bestimmende
Kraft«.159
Er grenzt seinen Handlungsbegriff ausdrücklich ab, wenn er schreibt,
»daß der Begriff Handlung nicht simplifiziert
und beschränkt werden darf auf ›Story‹, ›Inhalt‹, ›Bewegung‹, ›Spiel‹ und
›Aktion‹.«160
Weder auf den Stückverlauf zielende (›Story‹ und ›Inhalt‹) noch die darstellende
konkrete Aktion meinende Vokabeln (›Bewegung‹ und ›Spiel‹), noch der Bedeutungen
ins Auge fassende Begriff des Inhalts fallen mit Felsensteins Handlungsbegriff zusammen.
Wenn Felsenstein Handlung als ›Grundelement des Theaters‹ auffasst, dann muss auch
in ihr der Zweck des Theaters, ›menschliche Wahrheiten‹ auszusagen, aufgehoben
sein.161
vgl. Kap. 2.1.2 der vorliegenden Arbeit: »Felsensteins Humanismus«
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Insofern stellt die
»Handlung als Kriterium«162
So betitelte Götz Friedrich einen Aufsatz über den Handlungsbegriff, in: ders.: Musiktheater,
Frankfurt/Main, Berlin, 1986
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die auf den Zuschauer bezogene Instanz dar, die über die Erfüllung des Anspruches an
das Theater, Kunst zu sein, entscheidet.
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