- 124 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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wiederum bezeichnend: Sie hat ihren ausgreifenden weit gespannten Umfang, den sie durch die sie charakterisierende große Sexte erhielt, verloren, das sie ersetzende Intervall ist ein Tritonus. Auch erklingt sie in einem Dominant-Klang zu Ges. Man könnte sagen, die Melodie der Erinnerung des Försters hat sich verflüchtigt. Es sollte deutlich geworden sein, dass der szenische Vorgang dem musikalischen Verlauf des Intermezzos entnommen ist. Auch wenn selbstverständlich nicht gesagt werden kann, dass Musik etwas bestimmtes bedeute, erscheint der szenische Vorgang die Musik sinnfällig zu konkretisieren.

Wie symbolisch der ganze Handlungsstrang um Förster und Füchslein durch die Beziehung Füchslein-Terynka geworden ist, wird sofort klar, wenn man seine ganze Abfolge im Zusammenhang betrachtet. Der Förster versucht sich mit dem gefangenen Füchslein seine existenzielle Natur-Erfahrung – unbewusst – in seinen Hof zu holen, das auf diese Weise domestizierte Naturwesen entwickelt destruktive Kräfte und flieht. Den Handlungsstrang schließt das Schlussbild ab, in dem der Förster – bewusst – im Wald einen Hymnus an die Natur singt, dort einem kleinen Fuchsjungen begegnet, das er diesmal nur halbherzig und – deswegen – erfolglos fangen will, und sich danach zufrieden ins Gras legt.

Interessant bezüglich des Schlussbildes ist eine Differenz zwischen der Fassung Max Brods154

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Leos Janacek: ›Das schlaue Füchslein‹, Oper in 3 Akten. KA. Für die deutsche Bühne bearbeitet von Max Brod. Universal Edition Nr. 7564, 1952
und Felsensteins Inszenierung. Das Schlussbild ist in der Fassung von Max Brod eine Traumsequenz: nachdem der Förster sich im Wald schlafen gelegt hat, steht er im Traum auf, erblickt das Füchslein, will es fangen und wacht davon auf, dass er einen Frosch gefangen hat.155
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vgl. ebd. S. 179f.
Bei Felsenstein handelt der Förster den ganzen Schluss hindurch bei vollem Bewusstsein. Felsenstein lässt den Förster dadurch Abstand nehmen von dem Versuch, Natur zu domestizieren und in Einklang mit ihr zu leben. Während die Fassung Brods das versöhnliche Ende in eine irreale Traumwelt rückt, schreibt Felsenstein dem Förster einen Erkenntnisprozess zu, der Förster Felsensteins hat aus der ›Füchslein‹-Geschichte gelernt.

3.5.  Die ›musikalische Handlung‹ als Grundelement des Theaters

Felsensteins Anspruch an seine Inszenierungen lautet, den ›Dualismus von Gesang und Darstellung‹ aufzuheben. Die Kunstform Oper – die er selbst Musiktheater nannte – sei in der tatsächlich geleisteten Einheit von Musik und Theater verwirklicht. Für Felsenstein ist diese Einheit erreicht,

»wenn allein die dramatische Handlung alle körperlichen, vokalen und auch instrumentalen Äußerungen bestimmt. Erst dann – und nur dann – kann der Sänger eine dramatisch gültige Musikpartitur genau nach den Intentionen des Komponisten nachdichten, nur dann wirkt er so frei und gelöst, daß alles Physische an ihm – so wie alles Materielle um ihn herum – Musik wird und der Gesang tatsächlich sein überzeugendstes Ausdrucksmittel ist.«156

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Felsenstein, Schriften, S. 127


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