- 113 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Kommunikationslosigkeit132
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Bei Felsenstein heißt die Aufgabe der Kunst bezüglich dem, was modern Kommunikationslosigkeit genannt wird, so: »Es ist die vornehmste Aufgabe der Kunst – und in ihr am ehesten der Musik –, den Menschen in diesen Bereichen von seiner Einsamkeit zu erlösen, die Menschen miteinander zu verbinden und sie an ihre Gemeinsamkeit glauben zu lassen.« Felsenstein, Schriften, S. 491
und Verdinglichungstendenzen.133
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Der Begriff der Entfremdung gekoppelt an den der Verdinglichung bezeichnet in der Kritischen Theorie Horkheimers und Adornos die Resultate einer Macht der instrumentellen Vernunft, die menschliche Beziehungen in die Form des Warentauschs zwinge. Zu einer ausführlicheren Kritik, die sich vor allem dem Moralismus Adornos widmet, vgl. Gröll, Johannes: Das moralische bürgerliche Subjekt, Münster: Westfälisches Dampfboot, 1991, S. 204ff.
Ein solches Theater, das den Mangel an Sinn in der Welt hervorkehren soll, vermisst Ideale. Auch wenn sich hierin beide Positionen durchaus nahe sind, ziehen sie verschiedene Schlüsse. Die Form der Abstraktion, die die Abwesenheit der Ideale betont, verdankt sich dem Misstrauen in eben die Ideale, denen eine illusionistisch-idealisierende Darstellungsweise gerade vertraut, wenn sie diese empfiehlt. Mit der Frage, ob nun eine der beiden ästhetischen Positionen für eine wahre Darstellung der Welt angemessener ist, ob die Abwesenheit von Sinn beklagt werden muss oder ob gezeigte Ideale zur angemessenen Wirklichkeitsdarstellung führen – damit ist eine Frage aufgeworfen, die sich theoretisch nicht entscheiden lässt. Festzustellen bleibt der beiden Positionen inhärente moralische Zweck.

Weiterhin ist beiden Positionen gemeinsam, dass sie ein Kriterium, die Wahrheit ihrer Darstellungen, beanspruchen, das, einmal ernst genommen, nichts mit der Sphäre der Kunst zu tun hat, sondern der Wissenschaft entnommen ist. Einer theoretischen Darstellung angesichts der Objektivität ihres Gegenstands Wahrheit an- oder abzuerkennen, beruft sich auf eine Befassung mit dem Gegenstand, die dem Interesse verpflichtet ist, ihn in seinen Bestimmungen zu erkennen. Eine künstlerische Darstellung mit dem Attribut des Wahren zu versehen, stellt angesichts der Tatsache, dass die Kunst wesentlich der Einbildungskraft und nicht der theoretischen Vernunft verpflichtet ist, an ihr ein sachfremdes Kriterium auf. Gemeint ist doch mit dem emphatischen Ausdruck der ›wahren‹ Kunst immer die Güte der Kunst; dass aber beispielsweise die künstlerische Darstellung eines Gegenstandes, die ›stimmt‹, also mit ihm übereinstimmt, ›gute‹ Kunst sei, unterliegt nicht nur einem Vorbehalt, sondern ist sogar gerade aus dem Grund, dass sie ›nur‹ übereinstimmt, fraglich. Die Kategorie der Wahrheit kann nur im metaphorischen Sinn für die Güte eines Kunstwerkes gebraucht werden, da diese sich letztendlich an seinem Ge- oder Missfallen, also einer subjektiven Kategorie festmacht. Deswegen kann die Forderung nach Abstraktion wie auch die nach jeder anderen Darstellungsweise, die im Namen der Wahrheit antritt, nur in einem Geschmacksurteil begründet sein, das willkürlich zum Maßstab für ›Wahrheit‹ auf dem Theater erhoben wird.

Im Namen der Wahrheit wendet sich Felsenstein wiederum explizit gegen jede Abstraktion. Seine Entscheidung gründet darin, dass im Mittelpunkt seiner Auffassung von Theater der handelnde Mensch steht. Werke, deren Inhalte sich einer Darstellung menschlichen Handelns verpflichtet sehen und der Darsteller als menschliches Grundelement des Theaters bestimmen Felsensteins Darstellungsformen. Seine Inszenierungsabsichten bestehen nie in der Realisierung einer ästhetischen Position, sondern in der theatralischen Verwirklichung eines Werkes,134

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»Das realistische Musiktheater ist nur der Versuch, den Interpretationsbegriff Oper zu verbessern und zu erneuern, und zwar im Sinne der Absichten der Autoren und Komponisten. Der einzige Ansatzpunkt und der immer der einzig gültige sein muß, ist, [. . . ] die Intention des Komponisten und des Autors richtig zu lesen und so zu interpretieren, daß sie aus der Zeit der Entstehung des gewählten Stoffes einem zeitgenössischen Publikum im Sinne der Autoren unmißverständlich mitgeteilt werden.« Felsenstein, Schriften, S. 475
in dem er Anforderungen für die Art und Weise der Darstellung vorfindet, bzw. zu

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