- 100 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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der Intentionen Felsensteins ist es nötig, näher zu untersuchen, welche Funktion die Parodie in dieser Inszenierung hat.

Auf die Frage, was im Blaubart parodiert wird, verlangt Felsenstein, das ›Vergnügen am Parodistischen‹ ästhetisch genau zu erfassen. Zutreffend stellt er als Voraussetzung jedweder Parodie fest, dass der Zuschauer Kenntnis vom parodierten Gegenstand besitzen muss.108

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Hier handelt es sich um eine Tatsache, die in der Parodieforschung vielfach zumindest verzerrt dargestellt wird. So schreibt beispielsweise Frank Wünsch den parodistischen Effekt ›Parodiesignalen‹ zu. Nicht jedoch die Signale, sondern die Kenntnis des parodierten Gegenstandes beim Zuschauer bewirkt erst die Erkenntnis der Diskrepanz seiner Darstellung zu ihm und ermöglicht damit vergnügende Erkenntnis. Dies ist insofern von Bedeutung, als beispielsweise eine Analyse der – zweifelsfrei parodierenden – Inszenierung Felsensteins unter dem Aspekt der Parodiesignale dazu führen würde, die Übertreibung von Opernkonventionen aufzuzählen. Dass – wie in diesem Kapitel noch zu zeigen sein wird – dies nicht der Intention der Inszenierung nahekommt, liegt auf der Hand. Vgl. dazu: Wünsch, Frank: Die Parodie. Zu Definition und Typologie, Hamburg, Kovac, 1999, S. 224ff.
Die offenkundige Parodie der Pastorallyrik der Einleitung und der ersten Szene, opera-seria-Koloraturen des Auftrittsariosos von Blaubart, etc. als »musikalische Parodien (zu) erkennen und verstehen«,109
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Felsenstein, Schriften, S. 376
erscheint noch banal. Felsenstein spricht jedoch von einer zusätzlichen Ebene ästhetischer Interpretation, die darüber hinausgeht:

»Die Gestalten sind also nicht nur die Träger der Parodie, nicht nur die Gefäße, in die der parodistische Witz ausgegossen wird, sondern, sie besitzen dramatische Identität mit dem parodistisch Gemeinten.«110

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ebd.

Ganz seinem zentralen Anspruch gemäß, Musik und Darstellung auf der Bühne als außergewöhnliche, glaubwürdige Äußerungen zu betrachten, zieht Felsenstein im ›Blaubart‹ methodisch den Rückschluss von der Musik auf die Figuren. Wie muss eine Figur charakterisiert werden, die parodistisch angelegt ist. Das Parodistische wird zum Charakter der Figur, jedoch nicht durch die Banalität einer Verabredung mit dem Zuschauer zum Klamauk, sondern dadurch, dass das Parodierte der Kern der Figur wird. Im ›Blaubart‹ sind – wie gezeigt werden wird – gesellschaftliche Deformationen der Menschlichkeit Gegenstand und dies in der Form der Parodie. Damit ist auch der Kern der parodierenden Figuren benannt.

Diese ästhetische Auffassung der Parodie übersteigt solche Darstellungsstile, die das Parodistische zwischen Figur und Darsteller – in Einklang mit dem Zuschauer – stattfinden lassen, also eine historisch-geschmacklich überkommene Darstellungsweise karikieren. Dagegen konstituiert die Darstellungsweise, die Felsenstein anstrebt, eine Figur, deren parodistische Leistung sich auf Leben und Welt des Zuschauers bezieht. Das so Parodierte liegt innerhalb der Vorkenntnis des Zuschauers, er versteht, was gemeint ist. Wenn jedoch nicht nur das (Wieder-) Erkennen des in der Parodie Gemeinten, sondern eine Anteilnahme an theatralischen Vorgängen durch den Zuschauer bezweckt ist, muss die Parodie darüber hinaus die sinnliche Anteilnahme des Zuschauers an der überzeichneten Figur hervorbringen. Der erste Vorgang resultiert aus einer Reflexion, die auf der Bühne Erkanntes auf das reale Leben bezieht, der zweite entsteht aus der Glaubwürdigkeit der Bühnenvorgänge; beides zu vereinen erscheint auf den ersten Blick als überaus schwierig, wenn nicht


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