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unmöglich. Je parodistischer überzeichnet wird, um so distanzierter betrachtet der
Zuschauer die Bühnenfigur. Genau diesen scheinbaren Widerspruch beabsichtigt
Felsenstein, er zielt ab auf eine ganz bestimmte Zuschauerhaltung, die beide Pole
beinhaltet.
Felsenstein unterscheidet in diesem Kontext zwei Bereiche theatralischer
Ironie:
»erstens einen, den das Publikum selbst sofort zu durchschauen
vermag, und einen zweiten, bei dem es in den Erlebnisbann des
Geschehens gezogen wird, so daß es sich aus ihm erst wieder lösen
muss.«111
Felsenstein bezieht seine Feststellung selbstverständlich auf das Mittel der Ironie, das
den Zuschauer aus dem Erlebnisbann des Geschehens löst, was das ›erst‹ erklärt. Denn
erst dann, wenn Ironie die identifizierende Anteilnahme des Zuschauers gebrochen hat,
kann sie das ›erkennend-distanzierende Vergnügen‹ schaffen. Eine Darstellungsweise, die
zu ihrem Prinzip erhebt, zwischen der bewusst eingesetzten Künstlichkeit der
Bühnenwelt und ihrer theatralischen Erlebbarkeit ›in der Einheit von Darsteller und
Publikum‹, was nach Felsenstein das Wesen des ›echten Theatererlebnisses‹ ausmacht,
zu changieren, konstituiert eine zwischen Anteilnahme und Reflexion oszillierende
Rezeption durch den Zuschauer.
Im Weiteren sollen anhand einiger beispielhafter Szenen Formen der Ironie, die jenes
Oszillieren verdeutlichen, daraufhin analysiert werden. Dabei wird deutlich, dass der
›Ulk‹112
So nennt im ›Blaubart‹-Film einer der Bühnenarbeiter im Filmstudio der Rahmenhandlung
das zu filmende Stück.
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sich keineswegs in harmlosem Spaß erschöpft, sondern konsequent eine Intention verfolgt,
die nicht zuletzt an der Ästhetik der Darstellungsweise und ihren Konsequenzen für die
Dramaturgie des Stückes deutlich wird. Felsenstein spielt im I. Akt mit der
Konstruiertheit von Figuren und Handlung. Harmlose Schäfer-Idyll-Parodie in bewusst
opernkitschiger Dekoration, fliegende Schmetterlinge und ein (!) Baum zeigen die Natur-
und Dorfidylle an. Im Bild am Hofe Bobèches werden die Überzeichnungen zunehmend
drastischer.113
Dementsprechend schildert Dieter Kranz, er »habe Streitgespräche zwischen den Zuschauern
gehört, in denen die Meinung aufkam, die Figur des Königs sei satirisch überzeichnet«. Vgl.
Felsenstein, Schriften, S. 377
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Bemerkenswert erscheint, dass die dortigen Vorgänge an Glaubwürdigkeit keineswegs
abnehmen, sondern im Gegenteil den Zuschauer eher mehr in ihren Bann schlagen als die
Harmlosigkeiten des I. Aktes. Trotz bizarrster Handlungen Blaubarts nimmt die
Ernsthaftigkeit der Vorgänge in Blaubarts Burg dann noch zu, nicht zuletzt dadurch,
dass über das wahre Schicksal der vermeintlich ermordeten Frauen keine Klarheit
besteht.114
»Daß den Autoren daran gelegen war, das Publikum so lange wie möglich an den Tod der
Blaubart- und Bobèche-Opfer glauben zu lassen, geht aus der Handlungsführung hervor.«
In: Kobán, Ilse (Hrsg.): Walter Felsenstein – Theater muss immer etwas Totales sein, Berlin:
Henschelverlag, 1986, S. 339
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Im letzten Finale dann werden Glaubwürdigkeit und Parodie – wie zu zeigen sein wird –
in einem Maße, das die Operettendramaturgie bersten lässt, aufeinander bezogen und
dadurch auf die Spitze getrieben.
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