- 99 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Mit den Mitteln von Ironie und Parodie werden Zuschauererwartungen durchbrochen. Mit der ›vierten Wand‹, deren Existenz immerhin die Natürlichkeit und damit Glaubwürdigkeit der Bühnenvorgänge – zentrale Postulate Felsensteins – verbürgt, spielt Felsenstein permanent.

Ironische Brechungen und parodistische Darstellungsformen scheinen auf den ersten Blick schwer vereinbar mit Felsensteins theatertheoretischen Grundsätzen.105

105
vgl. dazu Kap. 2.1.1. der vorliegenden Arbeit: »Das ›echte Theatererlebnis‹«
Ironie und Parodie arbeiten mit der Kategorie der Wahrhaftigkeit einer Äußerung, indem diese gerade in Frage gestellt wird. Wenn unter ihrer Wahrhaftigkeit verstanden wird, dass eine Äußerung mit sich und ihrem Autor identisch ist, so hat die Ironie einer Äußerung ihre Grundlage nun darin, diese Identität zu hintertreiben. Die Unklarheit in diesem Punkt konstituiert einen Zuschauer, der einer Äußerung nicht anteilnehmend gebannt folgt, sondern ihre eigentliche Bedeutung sich reflektierend erschließt. Eine solche Zuschauerhaltung steht dem von Felsenstein geforderten ›echten Theatererlebnis‹ diametral entgegen. Es soll nun gezeigt werden, wie und wofür Felsenstein diese zumindest vorläufig in Widerspruch zu seiner Theaterästhetik stehenden Mittel für die Intentionen des Stückes nutzt. Felsenstein war sich bezüglich seines ›Blaubarts‹ durchaus darüber bewusst:

»Das Experiment der Inszenierung [des ›Blaubart‹] besteht darin, daß über weite Strecken der Aufführung versucht wird, auch im Publikum die Überzeugung hervorzurufen, daß diese oder jene Szene ernst und wahrhaftig gemeint sei und ganz ohne Reflexion im Sinne des Theaters aufgenommen und erlebt werden kann. Das ist ja auch gar nicht anders denkbar, weil die Wahrhaftigkeit des theatralischen Erlebnisses auch hier [...] nur in der Einheit von Darstellung und Publikum zustande kommen kann.«106

106
Felsenstein, Schriften, S. 376

Felsenstein war sich also im Klaren darüber, dass Offenbachs ›Blaubart‹ Besonderheiten im Bereich der Ästhetik der Darstellung nötig machte, einer Darstellung, die Formen der Ironie und Parodie genau zu reflektieren hatte. Insofern gilt es zu zeigen, wie Felsenstein die Anforderungen des Werkes mit seiner theatertheoretischen Position vereinbart sah. Da in dieser Inszenierung das Parodistische eine entscheidende Rolle spielt, ist zu fragen, wie Felsenstein das Stilmittel der Parodie in Offenbachs ›Blaubart‹ Parodie begriff und in seiner Inszenierung praktisch umsetzte.

Das Resultat seiner Überlegungen zu Parodie und Ironie im ›Blaubart‹, das Felsenstein in einem Gespräch mit Dieter Kranz äußerte, überrascht, denn

»daß eine sinn- und originalgetreue Interpretation des Werkes dem musikalischen Theater ein geradezu neuartiges Genre erschließt – ein Genre, das zunächst jenseits von Ironie und Tragödie liegt«,107

107
Felsenstein, Schriften, S. 375

erscheint erklärungsbedürftig. Eine dem Parodistischen als wesentliches Darstellungsmittel verpflichtete Inszenierung sollte ›jenseits von Ironie‹ liegen, also doch nicht den reflektierend rezipierenden Zuschauer intendieren, ohne der Welt der Tragödie, die den anteilnehmenden Zuschauer bezweckt, anzugehören! Zur Erklärung


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