- 10 -Homann, Rainer: Die Partitur als Regiebuch 
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Dabei bestand Felsenstein durchaus auf einem Anspruch auf Richtigkeit für seine Inszenierungen, dessen Maßstab eben die Partitur hergab. Er gehörte insofern zu den Regisseuren, über die Peter Mertz behauptet: »Oft ist ihre [Gründgens, Hilpert, Felsenstein, Schalla, Sellner, Stroux] Haltung zu diesen [klassischen] Texten völlig distanzlos, hingerissen sind sie von den Worten, von Bildern und Metaphern, eng verbunden sind sie mit diesen Ordnungswerken, an denen sie das Heute messen. Keine Skeptiker – sondern Gläubige, nicht Fragende – sondern Überzeugte.«20
20
Mertz, Peter: Das gerettete Theater, Weinheim, Berlin, Quadriga, 1990, S. 155

In der Charakterisierung der vorbehaltlosen Entschiedenheit Felsensteins für eine klassische Wirkungsästhetik und damit für deren Werke trifft Mertz durchaus etwas. Trotzdem bleibt der kritische Unterton hinsichtlich der »Ordnungswerke, an denen sie das Heute messen«, unverständlich: Für jedes Theater, das etwas bewirken will, trifft zu, das »Heute« an seiner dargestellten (Bühnen-)Wirklichkeit zu »messen«. Und nach der Seite der – wohl unangemessenen – »Ordnungswerke« hin, die Mertz anspricht, schlug Felsenstein immer vor, ein Werk, das in der heutigen Welt nichts zu sagen hätte, auch nicht aufzuführen. Anstatt es zu verfremden, solle man dann lieber ein Neues schreiben. Das Misstrauen in die Klassiker, das Mertz offensichtlich teilt und das mindestens seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bestimmend war für einen aktualisierenden Inszenierungsstil, gründet doch vor allem in dem großen Vertrauen in gerade diese klassischen Vorlagen. Aus Sorge um ihre Wirkung müsse man sie aktualisierend verändern. Eine Kritik der Inhalte des klassischen Theaters bedeutet dieses Verfahren nicht.

Insbesondere an Felsensteins Inszenierungskonzepten wird zu zeigen sein, dass sie der Absicht verpflichtet waren, »Imaginationen und Assoziationen aktiviert aus dem Widerspruch zwischen Werktreue einerseits und dem Bewußtsein andererseits, künstlerische Aussagen in der Gegenwart, für die Gegenwart zu machen, also auch Werke der Vergangenheit zu ›vergegenwärtigen‹ (was bei Felsenstein etwas anderes war als vordergründiges Aktualisieren).«21

21
Friedrich, Götz: Die Sehnsucht nach szenischem Musizieren, in: Opernwelt 12/1975

Die vorliegende Arbeit, die vor allem auch Felsensteins systematisierenden Ansatz herausstellen soll, gliedert sich in zwei große Teile. Während der erste sich den theatertheoretischen Positionen Felsensteins und deren kunsttheoretischer und politisch-historischer Einordnung widmet, geht der zweite Teil anhand seines künstlerischen Werkes der Frage nach, wie Felsenstein seine szenischen Lösungen fand, also letztendlich, was es mit seiner fast berühmt gewordenen Behauptung von der »Partitur als Regiebuch« auf sich hat.

Im 1. Teil wird, nachdem die Bezüge von Felsensteins Theaterauffassung zu der des klassischen Idealismus geklärt wurden, sein Verhältnis zum Sozialistischen Realismus beleuchtet. Diese Betrachtungen erklären die diesseits wie jenseits der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze zu konstatierende Anerkennung Felsensteins – freilich aus unterschiedlichen Gründen. Im Weiteren sollen anhand eines kurzen Vergleichs der beiden großen Theatermänner der DDR – Bertolt Brecht und


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