- 73 -Hinz, Christophe: Analyse und Performance mit der Software RUBATO 
  Erste Seite (i) Vorherige Seite (72)Nächste Seite (74) Letzte Seite (208)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 

sehr häufig eingesetzt wird. Bei jeder kleinsten Abweichung zum Tempo geht die Übereinstimmung zwischen der Musik und dem Metronom verloren, und mit ihr auch die Sicherheit, das Tempo des Stückes bzw. des Abschnitts gefunden zu haben. Wegen der Ungenauigkeit dieses Messvorgangs mit dem Metronom wurde die Möglichkeit erwogen, die gesamte Abspielzeit durch die Anzahl der Pulse zu teilen – doch dies wurde schnell wieder verworfen, da die manchmal bedeutenden Abweichungen zum Urtempo (z. B. Orgelpunkte und rallentandi) die Resultate stark beeinflusst und somit verfälscht hätten. Unter diesen Umständen blieb nichts anderes übrig, als doch zum Metronom zu greifen, da bis heute keine Messmethode erfunden wurde, um musikalische Zeitverhältnisse festzulegen (vgl. Repp [1994]). Wenn auch die hier vorgestellten Werte mit Vorsicht und als ungefähre und durchschnittliche Tempi betrachtet werden müssen, so reichen sie jedoch allemal aus, um eine grobe Vorstellung davon zu erhalten, inwiefern Pianisten tatsächlich die Angaben Chopins respektieren.

Für die Etüde Nr. 11 wurden zwei verschiedene Tempi gemessen: eins für die vier ersten und eins für die restlichen Takte. Für die erste Messung wurden alle vier Takte berücksichtigt, für die zweite jedoch nur die T. 5–12. Ein Vergleich mit der genauen Wiederholung dieser Takte in T. 69–76 erwies, dass alle fünf Interpreten ihr jeweiliges Urtempo dort wieder benutzen. So kann man davon ausgehen, dass bis auf lokale Veränderungen das Tempo in den T. 5–96 relativ stabil bleibt. Tabelle 5.1 zeigt die Tempomessungen.








Fialkowska
Lortie
Lugansky
Pollini
Sokolov






T. 1–4

24
28
26
26
24






T. 5–96

64
60
64
60
66






Tabelle 5.1: Etüde Nr. 11. Tempi der fünf Performances. In den T. 1–4 wurde das Tempo in Vierteln gemessen und dann erst halbiert, um einen genaueren Wert erzielen zu können.

Tabelle 5.1 lässt erkennen, dass die Werte der fünf Interpreten recht nah beieinander liegen. Die Tiefst- und Höchstwerte liegen für den ersten Abschnitt bei 24 und 28, für den zweiten bei 60 und 66. Auch wenn für letzteren keiner der Pianisten das hochvirtuose vorgeschriebene  = 69 erreicht, so scheint trotzdem eine Übereinkunft zu existieren. Betrachtet man jedoch die Geschwindigkeitswerte von Lortie und von Sokolov im Vergleich, so kann man zwei verschiedene Ansichten erkennen. Lortie spielt den ersten Abschnitt am schnellsten von allen Pianisten, den zweiten jedoch am langsamsten, wobei Sokolov genau das Gegenteil macht. Verglichen mit den Mittelwerten von Fialkowska, Lugansky und Pollini wird dadurch der Kontrast zwischen beiden Abschnitten bei Lortie geschwächt, bei Sokolov aber verstärkt.

Die fünf Performances weisen bei der Betrachtung des lokalen rubatos deutliche Unterschiede auf. An der Anzahl und an dem Ausmaß der Abweichungen kann man durchaus einen ›agogischen Stil‹ bei den einzelnen Pianisten erkennen. Es würde bei weitem die Grenzen dieser Arbeit sprengen, eine Untersuchung anzustellen, ob der Stil der hier analysierten Pianisten auch in anderen Stücken Chopins bzw. bei anderen Komponisten beibehalten bleibt. In Anbetracht dieser Einschränkung ist


Erste Seite (i) Vorherige Seite (72)Nächste Seite (74) Letzte Seite (208)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 73 -Hinz, Christophe: Analyse und Performance mit der Software RUBATO