- 83 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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an Inhaltsbezogenheit zu erkennen, würde Mahlers Intentionen widersprechen. Entsprechend konzentriert sich die folgende Analyse auf die Textbezogenheit von Mahlers Komposition.

Wenn Mahler, trotz seines Bekenntnisses zur Durchkomposition, in Revelge dennoch Strophen zwar nicht gleich, aber doch mit großer Ähnlichkeit gestaltet, wird er folglich mit dieser Gestaltung einen inhaltlichen Bezug der Strophen herstellen wollen. Eine Begründung, die auf die architektonische Großform abzielt, reicht hier also nicht aus. Die musikalische Übereinstimmung von erster und zweiter Strophe legt den Gedanken nahe, daß das Marschieren im Gäßlein der ersten Strophe und das Getroffenwerden durch die Kugel in der zweiten Strophe nicht voneinander zu trennen ist. Das eine ist die Folge des anderen. Das Negative der zweiten Strophe erscheint durch die Herabsetzung um eine Quinte realisiert. Eine inhaltliche Gemeinsamkeit der dritten und vierten Strophe, die die gestalterische Nähe motivieren könnte, ist die Erfahrung, daß die Brüder dem gefallenen Soldaten nicht helfen: sie können ihn nicht tragen (3. Strophe) und gehen an ihm vorüber (4. Strophe). Der musikalische Unterschied zwischen vierter und fünfter Strophe läßt sich darauf zurückführen, daß der Soldat nun, in der fünften Strophe, entscheidet, sich selbst zu helfen, sich aufrafft und weitermarschiert. Die Gestalt der drei letzten, berichtenden Strophen läßt sich mit D-D’-A” skizzieren. Die musikalische Verknüpfung von sechster und siebter Strophe ist inhaltlich gerechtfertigt. Beide Strophen beginnen mit der gleichen Zeile »Er schlägt die Trommel auf und nieder« und berichten vom erfolgreichen Kampf des Trommlers. Die Rückkehr der achten zur Gestalt der ersten Strophe in D-Moll – nicht zur zweiten in G-Moll – mag durch die so entstehende Bogenform innermusikalische Gründe haben, aber sie läßt sich auch inhaltlich erklären. Beide Strophen sprechen davon, daß der Soldat vom Schätzel gesehen wird. Der unterschiedliche Orchestersatz in beiden Strophen bringt das veränderte Aussehen des Trommlers zum Ausdruck.

Das Orchestervorspiel beginnt mit einer stereotypen Marschformel, die den Marschcharakter des Liedes verdeutlicht, der auch von der Tempoangabe – »Marschierend, in einem fort« – unterstrichen wird. Verfremdet wird der typische Marschcharakter zunächst durch das Mollgeschlecht, dann durch die pp-Dynamik und schließlich durch den sekundweise absteigenden Ton in allen Streichern auf der ersten Zählzeit bei Beibehaltung des Auftaktwirbels auf dem Ton a. Der marschtypische Quartauftakt verfremdet sich somit in einen Terzauftakt im zweiten Takt und einen Sekundauftakt im dritten Takt. Das Positive und Aufsteigende des Marsches verwandelt sich ins Gegenteil. Die sich anschließende Holzbläserfigur wird später als Begleitung zum »Trallali« verwendet. Im Vorspiel ist sie in chromatischer Gegenbewegung zwischen Ober- und Unterstimme gehalten, als Gesangsbegleitung erscheint sie diatonisch. Der Wirbelauftakt in den Streichern, gefolgt vom Marschrhythmus in den Trompeten, wird wieder aufgenommen, nun aber gleichbleibend als Quarte. Die nun anhebende Singstimme wendet sich schon auf der dritten Zählzeit ihres ersten Taktes (Takt 8) zur Dominante, kehrt in Takt 9 zur Tonika zurück, wendet sich im gesamten Takt 10 schon wieder zur Dominante. Die Begleitung dagegen bleibt während der gesamten Zeit stereotyp »falsch« auf der Dominante. Darin läßt sich erkennen, daß der Marsch voranschreitet, ohne auf den einzelnen Soldaten Rücksicht zu nehmen. In Takt 13 kadenziert die Bewegung über einen


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