- 57 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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– nur, wenn ich tondichte, erlebe ich!«11
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Mahler, Briefe, S. 200.
Am 3. April 1895 schreibt er an Oskar Bie: »Meine Musik ist ›gelebt‹, und wie sollen sich diejenigen zu ihr verhalten, die nicht ›leben‹, und zu denen nicht ein Luftzug dringt von dem Sturmflug unserer großen Zeit.«12
12
Mahler, Briefe, S. 122.

Die aus den Erlebnissen des Komponisten hervorgegangene Musik kann demnach nur von denen verstanden werden, die die Gegenwart in ihren gesamten Erscheinungsformen und Umwälzungen wahrnehmen. Und daß auch die Negativität der Welt in seiner Musik erscheint, hebt er in jener Frage an Bruno Walter vom Dezember 1909 hervor, die sich auf die Erste Symphonie bezieht: »Was ist das für eine Welt, welche solche Klänge und Gestalten als Widerbild auswirft? Der Trauermarsch und der darauf ausbrechende Sturm erscheint mir wie eine brennende Anklage an den Schöpfer.«13

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Mahler, Briefe, S. 372.

Im Sommer 1904, gerade nach Abschluß der Sechsten Symphonie, äußert er abermals, daß er in seiner Musik seine Erfahrungen zum Ausdruck bringt. Er grenzt sich darin von einer Auffassung Bruno Walters ab, der gegen die Programmusik polemisierte.14

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Der Brief Walters an Mahler ist in dem Band: Bruno Walter, Briefe 1894–1962, Frankfurt 1969, nicht enthalten. Wahrscheinlich hat Mahler ihn nicht aufgehoben.
Mahler schreibt ihm im Sommer 1904: »Das Wort Wagners, das Sie zitieren, leuchtet mir völlig ein. Ich weiß nicht, wo Sie den Irrtum erblicken. Man darf nicht das Kind mit dem Bade ausschütten! Daß unsere Musik das »rein Menschliche« (alles was dazu gehört, also auch das »Gedankliche«) in irgendeiner Weise involviert, ist ja doch nicht zu leugnen. Es kommt wie in aller Kunst, eben auf die reinen Mittel des Ausdrucks an, etc. etc. Wenn man musizieren will, darf man nicht malen, dichten, beschreiben wollen. Aber was man musiziert, ist doch immer der ganze (also fühlende, denkende, atmende, leidende etc.) Mensch. Es wäre ja auch weiter nichts gegen ein ›Programm‹ einzuwenden (wenn es auch nicht gerade die höchste Staffel der Leiter ist) – aber ein Musiker muß sich da aussprechen und nicht ein Literat, Philosoph, Maler (alle die sind im Musiker enthalten).«15
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Mahler, Briefe, S. 293.

Mahler sagt – direkt nach Fertigstellung der Sechsten Symphonie! –, daß seine Musik eigene Gedanken und Empfindungen involviert und daß es sogar in einem Programm zur Sprache gebracht werden könnte. Dieses Gedankliche und Empfundene erfährt seinen Niederschlag jedoch in musikalischen Gestaltungsweisen, den reinen Mitteln des Ausdrucks, und nicht mit Tonmalerei oder ähnlichem.

Eine Herangehensweise an seine Musik über musikalisch-technische Erläuterungen hält er wiederum für völlig unzureichend. An Otto Lessmann, der ihn um eine Analyse seiner Ersten Symphonie für deren Aufführung bei der Tonkünstlerversammlung 1894 in Weimar gebeten hatte, schreibt er:


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