- 58 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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»Es entspricht jedoch nur wenig meinen Intentionen, das Publikum einer Musikaufführung mit musikalisch technischen Bemerkungen zu verwirren – denn etwas anderes ist es meiner Ansicht nach nicht, wenn man ihm ein ›Programmbuch‹ in die Hand gibt und es so zwingt, statt zu hören zu sehen!.
Gewiß halte ich es für notwendig, daß das motivische Gewebe jedem Hörer klar ist. Aber glauben Sie wirklich, daß bei einem modernen Werke die Angabe einiger Themen dazu hinreicht? – Die Kenntnis und Erkenntnis eines Musikwerks muß man sich durch eingehendes Studium desselben verschaffen, und je tiefer ein Werk ist, desto schwieriger ist dies, und desto länger dauert es. – Bei einer ersten Aufführung hingegen ist es die Hauptsache, daß man sich dem Werke auf Gnade und Ungnade ergibt, das allgemeine Menschlich-Poetische daraus auf sich einwirken läßt; und wenn man sich dann angezogen fühlt, dann sich eingehend damit befaßt!«16
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Mahler, Briefe, S. 111f.

Der Gedankengang ist ähnlich wie in den vorherigen Zitaten: Die Erfassung des Menschlich-Poetischen ist das wichtigste am Kunstwerk, dieses erfährt man durch aufmerksames Hören, durch musikalisches Wahrnehmen. Mit Programmbuch ist hier nicht das musikalische Programm eines Werkes, sondern eine Analyse oder Verlaufsbeschreibung gemeint. Gegen solche Produkte verwendet sich Mahler nochmals entschieden anläßlich der Uraufführung seiner Achten Symphonie. In einem Brief an den Konzertveranstalter dieser Uraufführung, Emil Gutmann, schreibt er am 5. August 1910: »Noch etwas Wichtiges: Ich lese zu meinem Entsetzen, dass eine findige Verlagshandlung schon einen ›Führer‹ für die VIII. herausgegeben hat (Schlesinger’s Musikal). Ich bin entsetzt, und bitte schon heute darum, dass in der Festhalle unter keinen Umständen etwas Anderes ausgegeben wird als die gewöhnlichen einfachen Programme mit Text, und eventuell auch die einfachen Clavierauszüge mit Text. Bitte im ganzen Rayon darauf zu sehen. Sie würden mir die ganze Aufführung verderben, wenn ich auch nur einen ›Musikführer‹ darin bemerken würde.«17

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Mahler, Unbekannte Briefe, S. 83.

Im Programmheft zur Aufführung der beiden Mittelsätze der Sechsten Symphonie am 5. April 1907 in Dresden steht zu lesen: »Eine Analyse dieser Sätze unterbleibt auf Wunsch des Komponisten aus denselben prinzipiellen Gründen, wie sie bei den früheren Aufführungen Mahlerscher Werke an der gleichen Stelle bereits erwähnt und begründet wurden.«

Diese Begründung findet sich im Programmheft zum Konzert am 27. Januar 1905, in dem seine Fünfte Symphonie zur Aufführung kam (siehe Faksimile nächste Seite).

Der Herausgeber ist Johannes Reichert. Die Programmhefte zu den Aufführungen von den drei Mittelsätzen der Zweiten Symphonie (15. Januar 1897) und von der Ersten Symphonie (16. Dezember 1898) enthalten Notenbeispiele der wichtigsten Themen und verbale Ausdeutungen der Stimmung der Sätze. Einer abermaligen, nun vollständigen Aufführung der Zweiten Symphonie ist die Bemerkung vorangestellt:


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