- 38 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Einen ähnlichen Fall wie hier in Lemberg, wo Mahler seine Distanz zu anderen Juden feststellte, berichtet Alma aus dem Jahre 1909, wo beide durch das New Yorker Judenviertel gingen. Auch hier erkannte Mahler, daß er mit diesen Menschen wenig gemein habe.105
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Alma Mahler, Erinnerungen, S. 191.
Schließlich sei noch auf eine Briefäußerung Mahlers an Alma von Anfang 1910 hingewiesen, wo Mahler sich auf einer Konzertreise mit seinem New Yorker Orchester in Springfield befand. Es heißt dort: »Es wäre gar nichts für Dich diese Tour! Überall Negerbedienung. Hier übrigens sehr angenehme diensteifrige und bescheidene Burschen.«106
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24. Februar 1910, Briefe Mahlers an Alma, S. 418.

Die Dokumente lassen schließen, daß Fragen der Rassen zu den Gesprächsstoffen zwischen Mahler und Alma gehörten. Alma vertrat dabei einen ablehnenden Standpunkt gegenüber der Andersartigkeit anderer Rassen. Sie machte sich gängige Klischees der Zeit zu eigen, wie ihre antisemitischen Vorbehalte auch in ihrer Autobiographie bezeugen107

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Alma Mahler, Mein Leben, Frankfurt 1963, S. 106, 175, 259, 296.
, die allerdings sehr lange nach Mahlers Tod verfaßt wurde – sie erschien erstmals 1960. Dennoch gehörten Juden zu ihren engsten Vertrauten. Vor der Ehe mit Mahler war sie mit Alexander Zemlinsky liiert, 1929 heiratete sie Franz Werfel, mit dem sie später vor den Nazis über Frankreich nach Amerika floh. Mahler bestätigte ihr gegenüber die Andersartigkeit bestimmter jüdischer Kreise und Schichten und manifestierte die am Beispiel erfahrene Unvereinbarkeit mit den eigenen kulturellen Gepflogenheiten. Er widersetzte sich aber grundsätzlichen Vorurteilen, worüber der Briefauszug aus Springfield 1910 Auskunft gibt, und ließ sich von besserer Erfahrung belehren.

Mahlers Umgang mit dem Judentum ist ein getreues Spiegelbild der gesellschaftlichen Situation im Wien der Jahrhundertwende108

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Die Ausführungen über das Judentum in Wien nach: Marsha L. Rozenblit, Die Juden Wiens 1867–1914. Assimilation und Identität, Wien-Köln Graz 1988; und Stephen Beller, Wien und die Juden: 1867–1938, Wien-Köln-Weimar 1993.
. Viele der jüdischen Intellektuellen und Künstler Wiens sagten sich von der jüdischen Religion los und konvertierten, um ihre gesellschaftliche Situation zu verbessern. Schon Heinrich Heine hatte die Taufe als das Entréebillet zur europäischen Kultur bezeichnet. Im spätmonarchistischen Wien folgten ihm neben Mahler Karl Kraus, Victor Adler, Peter Altenberg, Egon Friedell, Otto Weiniger, Bruno Walter und Arnold Schönberg.109
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Rozenblit S. 137ff.
Hugo von Hofmannsthal und Ludwig Wittgenstein waren schon von ihren Eltern christlich erzogen worden.110
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Beller, S. 97.
Auch nach dem Jahre 1867, in dem den Juden Bürgerrechte in der österreichischen Hälfte der Doppelmonarchie verliehen wurden und sie somit den Nicht-Juden rechtlich gleichgestellt waren111
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Beller, S. 136.
, waren gläubige Juden von der gehobenen Bürokratie, der Armee und dem diplomatischen Dienst praktisch ausgeschlossen. Das Heilmittel, der Religionsübertritt, wirkte sich eindeutig positiv auf Karrieren in der Armee und im akademischen Bereich aus. Den höchsten Prozentsatz an Konversionen weisen aber die Freiberufler auf, unter denen sich sämtliche Theaterleute, Musiker und Literaten befanden.112
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Beller, S. 206f., Rozenblit, S. 143.
Die Zionisten und jüdischen Nationalisten verurteilten den Glaubensübertritt aus Karrieregründen, sie

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