- 37 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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war Juden-Christ und hatte es schwer. Ich war Heiden-Christin und hatte es leicht.«101
101
Alma Mahler, Erinnerungen, S. 129.

Die weniger verbreiteten Erinnerungen von Ludwig Karpath bestätigen und ergänzen diese Einschätzung:

»Auf einer Wanderung durch die Hauptallee des Praters berührte Mahler das Thema: Vermischung von Christen und Juden. Mahler war absolut für die Amalgamierung und erwog deren Chancen. Es war ungemein interessant, wie er das Für hervorhob und das Wider bekämpfte. Seine Schlußfolgerung war, daß zumindest in der ersten Mischung die jüdischen Rasseeigenschaften stärker hervortreten, was er für schädlich hielt, daß aber in weiteren Generationen unbedingt ein Ausgleich erfolgen würde, der zur Veredelung der Menschheit führen müsse. Im Uebrigen hatte Mahler abwechselnd christliche und jüdische Empfindungen. Wurde ihm das Judentum nicht zum Vorwurf gemacht, so empfand er durchaus christlich, insbesondere katholisch, hatten ihm aber die Antisemiten arg zugesetzt, so meldete sich doch sein Rassegefühl. Das wechselte je nach den Umständen. In seinem Schaffen empfand er rein katholisch, wovon ja namentlich seine Zweite Symphonie Zeugnis gibt. Wenn er aber seiner von Haus aus katholischen Frau gegenüber auch immer betonte: ›Nur heraus aus dem Ghetto!‹, so sprach doch ein starker Groll aus ihm, wenn man seine eigene Taufe berührte. Wir unterhielten uns einmal darüber recht ausführlich: ›Wissen Sie, was mich besonders kränkt und ärgert‹, sagte mir einmal Mahler, ›das ist der Umstand, daß ich mich taufen lassen mußte, um zu einem Engagement zu kommen, das ist das, was ich nicht verwinden kann. Es ist natürlich unwahr, daß ich mich erst taufen ließ, als der Wiener Posten winkte – ich war schon jahrelang vorher getauft – aber Tatsache ist, daß die Sehnsucht, der Hamburgischen Hölle Pollinis zu entfliehen, den Gedanken in mir keimen ließ, aus der jüdischen Religionsgemeinschaft auszutreten. Das ist das Schmachvolle an der Sache. Ich leugne nicht, daß es mir große Ueberwindung kostete, man darf ruhig sagen aus Selbsterhaltungstrieb eine Handlung zu begehen, der man ja innerlich gar nicht abgeneigt war.‹«102

102
Karpath, Begegnung, S. 101f.

Man kann in Mahler also einen westeuropäisch orientierten Juden sehen, der die Assimilierung mit der christlich-abendländischen Kultur – zugunsten einer »Veredelung der Menschheit«, wie Karpath sich erinnert – befürwortete, eine Hintansetzung des Judentums aber ablehnte und antisemitischen Tendenzen entgegentrat. Gegenüber dem Ostjudentum zeigte Mahler deutliche Vorbehalte. In zwei Briefen an Alma, geschrieben aus Lemberg während einer Konzertreise im Frühjahr 1903, äußerte er: »Am possirlichsten sind doch die poln. Juden, die hier herumlaufen, wie anderswo die Hunde. Es ist äußerst unterhaltend, denen zuzuschauen! Mein Gott, mit denen soll ich also verwandt sein?! Wie trottelhaft mir die Racentheorien erscheinen, angesichts solcher Beweise, kann ich dir gar nicht schildern!«103

103
31. März 1903, Briefe Mahlers an Alma, S. 144.
Zwei Tage später bemerkte er: »Ein schmutzigeres Wesen als so einen poln. Juden an Ort und Stelle kann keine Phantasie erdenken.«104
104
2. April 1903, Briefe Mahlers an Alma, S. 149.


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