- 36 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Tendenz. Das Problem wurde schließlich mit dem Verzicht Luegers auf dieses Konzert bereinigt.95
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La Grange I, S. 761f.

Die Auseinandersetzung um alle weiteren Aktivitäten Mahlers in der Folgezeit wurde mit antisemitischen Parolen geführt: Die Wiener Erstaufführung seiner Zweiten Symphonie am 9. April 189996

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La Grange I, S. 772–775.
, Mahlers Striche in der Oper Der Bärenhäuter von Siegfried Wagner, gegen die Cosima Wagner protestierte – Mahler brachte die Oper mit viel Erfolg in der gleichen Zeit in Wien heraus.97
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La Grange I, S. 780–784.
Es folgten Ende 1899 und Anfang 1900 etliche weitere Attacken gegen seine Interpretationsweise, seine Personalpolitik bis hin zu Beschimpfungen seines Charakters, immer verknüpft mit Angriffen auf sein Judentum.98
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La Grange I, S. 818–838.
Davon unberührt blieben natürlich auch nicht seine Retouchen in Beethovens IX. Symphonie, die er am 18. Februar 1900 zur Februar 1900 zur Aufführung brachte. Diese Eingriffe in Beethovens stießen allerdings auch in weiten Teilen der liberalen Presse auf Ablehnung.99
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La Grange I, S. 853–857.
Und selbstverständlich bildete auch die Berufung Bruno Walters zum Kapellmeister an die Wiener Hofoper den Anlaß neuerlicher antisemitischer Schimpftiraden in den entsprechenden Zeitungen.100
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Henri-Louis de La Grange, Gustav Mahler. L’âge d’or de Vienne 1900–1907, Paris 1983 [= La Grange II], S. 114–118.

Bruno Walter zeigte sich erschüttert über die verbale Brutalität der antisemitischen Presse, wie der obige Briefausschnitt belegt. Von Mahler fehlt ein so eindeutiges Zeugnis seiner Betroffenheit von den beständigen Attacken, was die Frage nach seiner prinzipiellen Einstellung gegenüber seiner ethnischen Herkunft nach sich zieht.

Mahlers Haltung zum Judentum läßt sich aus den vorhandenen Quellen recht klar umreißen. Sie wird in diesen Dokumenten mit den Wiener Berufungsgeschehnissen und Mahlers Konversion in Beziehung gesetzt. Alma skizziert ihre Einschätzung so:

»Mahler war das Judenproblem nicht fremd. Er hat oft sehr darunter gelitten. Besonders als Cosima Wagner, die er verehrte, ihm die Stelle an der Wiener Hofoper unmöglich machen wollte, weil er Jude war (er mußte sich, um eine so hohe Stellung im K. u. K. Hofärar bekleiden zu dürfen, taufen lassen). Er neigte übrigens stark zum katholischen Mystizismus. Der jüdische Ritus hat ihm nie etwas gegeben. Er konnte an keiner Kirche vorbei, ohne hineinzugehen, er liebte Weihrauchgeruch, die gregorianischen Gesänge. Seine Wahrhaftigkeit sagte ihm, daß seine Skepsis der jüdischen Religion gegenüber und seine Taufe keineswegs sein Judentum vergessen machen könnten. Dies wollte er auch nicht. Andererseits bat er mich immer wieder, ihm zu sagen, wann er zu stark gestikuliere, weil er dies als unkultiviert an anderen haßte. Niemals durfte man vor Mahler jüdische Witze erzählen; er konnte sich darüber ernsthaft erbosen. Wie recht hat er doch gehabt!
Seine religiösen Gesänge, die II., die VIII., alle Choräle in den Symphonien sind echt empfunden – und nicht von außen hineingetragen! Er hat seine jüdische Herkunft nie abgeleugnet – eher betont. Er war christgläubig. Er


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