- 360 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Die Sechste Symphonie Gustav Mahlers teilt nicht nur dieses allgemeine Schicksal des Großen. Sie hat auch ein spezielles Schicksal. Gehört sie doch zu jener Mittelgruppe der Symphonien Mahlers, welche überall noch nicht ganz ins Bewußtsein der Gegenwart aufgenommen worden sind. [W33/F]
Gustav Mahler schrieb einmal an seinen Freund und späteren Biographen Richard Specht: »Meine Sechst wird Rätsel aufgeben, an die sich nur eine Generation heranwagen darf, die meine ersten fünf in sich aufgenommen und verdaut hat.« Das mag damals seine Richtigkeit gehabt haben. Für den heutigen Menschen, der den Weltkrieg und die neuere Musikentwicklung mitgemacht hat, birgt diese gewiß geniale Schilderung eines in titanischem Ringen mit sich selbst und der Welt liegenden Künstlers wohl kaum viel Rätselhaftes, so sehr ihm die Ausbrüche der Leidenschaft, das dämonisch-phantastische und wild ekstatische seiner Tonsprache Bewunderung abnötigt. [W33/G]

Die Sechste Sinfonie von Mahler ist das Stiefkind unter seinen Geschöpfen. Sie genießt auch in der Mahler-Stadt die weitaus geringste Popularität. [W33/H]

Begabung


Man möchte sich gern am großen Wollen begeistern und stolpert immer wieder über das, was man als das tragische Verhängnis in Mahlers Schaffen und Persönlichkeit bezeichnen könnte und empfindet, und das den eigentlichen Kern des niemals zu beseitigenden »Problems« Gustav Mahler bildet. [B20/A]

die Sehnsucht nach dem Höchsten und daneben die Erkenntnis, daß auch ein titanisches Wollen nicht reicht, was dem Genie mühelos in den Schoß fällt, geht insbesondere durch diese sechste seiner Symphonien. Was sind die wilden Aufschreie des ersten Satzes, die Teufelsfratzen des Scherzos, die gewaltigen Hammerschläge des letzten Satzes, die Grauen und Furcht einflößen sollen und doch nur zum Lächeln reizen, anderes als die Ausbrüche einer schmerzhaften Wut über die erkannte eigene Ohnmacht, die sich nun mit geballter Faust daran macht, Schönstes zur Grimasse zu verzerren. [A26/A]

Schmerzlich zu erleben, wie auch an diesem Werk Mahlers [. . . ] das allzu Zeitliche seines reinen und enormen Strebens schon jetzt offenbar wird. [F29/B]

Um das Problematische dieses Sinfoniestils kümmern sich gerade die Besucher volkstümlicher Konzerte am allerwenigsten. Das nie gestillte Verlangen des Tonsetzers nach immer neuen und immer absonderlicheren Klängen reizt das unbefangene Ohr. Es spürt das Grandiose der Effekte und spürt wohl auch etwas von dem erschütternden Ernst des künstlerischen Willens, der Effekt an Effekt reiht und doch Wirkung auf Wirkung türmen möchte. [D30/A]

Eine wahrhaft tragische Sinfonie. Tragisch schon durch das Los des Komponisten, der ein genialischer ausübender Musiker war, doch dessen grandiose Pläne daran scheitern mußten, daß er eben doch kein Genie war. [. . . ] und doch durchglüht ein idealistisches Wollen diese Tragik des Nichtkönnens. Wäre da nicht das Leid des Menschen Mahler, um dessen hohes Streben wir wissen, wir müßten erschrecken über diese äußerliche und nachempfundene Klangekstase, die uns heute nur noch leer erscheint. So erschrecken wir über diese Divergenz des Künstlers und Kämpfers Mahler. [D30/C]

Die Tragik der sechsten Sinfonie liegt zutiefst in dem geradezu verbitterten Kampf, den Wollen und Können in seinem Innern ausfochten. Er wollte in Sphären vordringen, zu denen seinem Wesen die natürliche Verbindung fehlen mußte, wollte sich die Gefühlswelt Bruckners und Schuberts zueigen machen, ein Versuch, an dem sich seine innere Natur bitter rächte. [W33/G]

Aufwand der Mittel


Wer die brodelnde Glut dieses Finales, diesen tollen Wirbel von Tonvisionen, diese grauenvollste Darstellung alles Irdischen, wer diesen Kampf und Sieg der Persönlichkeit über das unabänderliche Schicksal nur einmal miterlebt, dem wird alle Lust über die aufgewendeten Mittel (z.B. Hammer- und Herdenglocken) zu lächeln, gründlich vergehen. [W19/C]

Die Symphonie ist überraschend groß gewollt [. . . ] sie krankt auch [. . . ] an einem zu krassen Aufwand der Mittel [H21/B]


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