- 35 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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an Oskar Fried: »Und – vergessen Sie nicht – unseren Hauptfehler die Race, können wir nicht ändern.«89
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O.D. vermutlich August 1906, Gustav Mahler, Unbekannte Briefe, hrsg. von Herta Blaukopf, Wien-Hamburg 1983 [= Mahler, Unbekannte Briefe], S. 55.
Genauso sah es auch die antisemitische Deutsche Zeitung in einem Kommentar zu Mahlers Berufung nach Wien vom 10. April 1897. Ein anonymer Autor fragt darin, ob ein Jude fähig sei, »unsere große Musik«, »unsere große Oper« zu verteidigen, selbst wenn er sich drei Wochen vorher habe taufen lassen.90
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La Grange I, S. 624.
Es ist letztlich schwer auszumachen, wie hoch der Stellenwert von Mahlers Konversion für seine Berufung nach Wien war. Franz Willnauer hält den Schritt für entscheidend, zu dem Bekenntnis des vom Katholizismus geprägten Landes überzutreten.91
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Franz Willnauer, Gustav Mahler und die Wiener Oper, Wien 1993, S. 33.
Der Zeitzeuge Ludwig Karpath erinnert sich dagegen, Hofrath Wlassack, dem entscheidendes Verdienst um die Berufung Mahlers zukommen sollte, habe auf den Vorschlag Rosa Papiers, Mahler zu berufen, geantwortet: »Das ist ganz ausgeschlossen, der Mahler ist ein Jud’ und den bring ich nicht durch.« Wlassack schien es unmöglich, so Karpath, angesichts der Mentalität seiner Vorgesetzten einen – wenn auch getauften – Juden durchzusetzen. Der letztendliche Erfolg sei vor allem dem diplomatischen Geschick Wlassacks zu verdanken. In Karpaths sehr ausführlichen Erinnerungen an die Begebenheiten zwischen Ende 1896 und April 1897 ist vom Problem Judentum nicht mehr die Rede.92
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Karpath, Begegnung, S. 32ff.
Willnauer dagegen schreibt den Erfolg von Mahlers Berufung der Vielzahl der von Mahler zu diesem Zweck unternommenen Initiativen zu, vor allem der Aktivierung seiner Freunde und Förderer in dieser Hinsicht.93
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Willnauer, S. 31–37.

Die Auseinandersetzung um Mahlers Schaffen fand bald nach Beginn seiner Tätigkeit in Wien in der Presse ein breites Echo. Die antisemitische Presse, das sind die Organe Deutsche Zeitung, Deutsches Volksblatt und Reichspost, hielt sich jedoch zunächst mit Angriffen auf Mahler zurück. Der für die Deutsche Zeitung schreibende Theodor Helm stand Mahler ausgesprochen positiv gegenüber und trat damit in Dissenz zur Ausrichtung seiner Zeitung.

Die antisemitische Kampagne gegen Mahler begann etwa ein Jahr nach Amtsantritt, im Herbst 1898 anläßlich der Wahl Mahlers zum Dirigenten der Philharmonischen Konzerte in der Nachfolge Hans Richters. Vor dem ersten Konzert erschien – ebenfalls in der Deutschen Zeitung – ein anonymer Artikel, der sich im Namen der Orchestermitglieder über Mahlers angebliche Unarten beim Dirigieren beklagt, immer verknüpft mit seinem Judentum.94

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La Grange I, S. 745f.
Zu Beginn des Jahres 1899 gab es eine neuerliche, typisch wienerische Affäre. Der traditionelle Wohltätigkeitsball im Rathaus sollte in diesem Jahr in ein Wohltätigkeitskonzert verwandelt werden, da der Wiener Hof sich aus Anlaß des Todes der Kaiserin Elisabeth noch in Trauer befand. Bürgermeister Lueger hatte dazu einen arischen Dirigenten, Felix Mottl, eingeladen. Der Chefdirigent der Philharmoniker, die dieses Konzert bestritten, war aber Mahler, und er hatte Anrecht auf die Leitung dieses Konzertes. Dieser »Skandal« wurde in der gesamten Wiener Presse umfangreich diskutiert, die Deutsche Zeitung widmete diesem Problem nicht weniger als fünf Artikel, beständig mit antisemitischer

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