- 330 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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ist mit seinem Bau nicht völlig zufrieden, er trägt ihn ab und baut ihn nochmals vom Grunde auf, noch ausladender in den Formen, noch reicher mit Arabesken überhäuft, noch prunkvoller an Farben, und nun wieder der dröhnende Schlußakkord, der mit einem veritablen Eisenhammer festgenagelt wird und jetzt endgiltig sitzt. [W07/D]
Noch in der Erinnerung schreckt man vor dem letzten Satz zurück, der, ein gewaltiges architektonisches Gebilde, zugleich die äusserste Übertreibung von Mahlers Stil darstellt. [. . . ] der monströse Schlussatz [W07/F]

Eher passte die Überschrift [»Tragische«] auf gewisse Partien des ersten Satzes und fast das ganze Finale, besonders dessen Schluss [W07/G]

seinen eigenartigen thematischen wie instrumentalen Stil zu erproben, dessen Kühnheiten in diesem Werke oft alle Grenzen überschreitet. Das ist hauptsächlich im letzten Satze der Fall, der, ein künstlerisches Gebilde von kolossalen, kaum zu übersehenden Dimensionen, maßlos nervenaufwühlend, die Mittel häuft und sich ebenso maßlos den Ausdruck seiner tragischen Stimmung hingibt. [2. Teil:] Mahler baut in seinem neuen Werke [. . . ] Aber auch das Schlagwerk hilft bauen, und es reicht dazu direkt einen Hammer. Er saust im letzten Satze nieder, der [. . . ] die Absichten des Komponisten am vollständigsten dartut. Ein Kolossalgebilde, durchwegs thematisch aufgebaut, dabei von strenger Einheit der Stimmung. Diese Stimmung bezeichnet Mahler selbst als eine tragische. Auch sie würde sich mit einer Grundstimmung der klassischen Symphonie seit Beethoven begegnen, nur daß das Ringen mit dem Schicksal, mit den dunkeln Mächten des Lebens, die allerdings bei Mahler geradenwegs zu diabolischen werden, nicht zum Siege, sondern zum Untergang führt. Der Held fällt unter den Hammerschlägen des Geschickes, und man hört sie. Denn diese Hammerschläge arbeiten zugleich, wir haben es schon gesagt, an dem Bau des Satzes, dessen Hauptabschnitte, die beiden großen Durchführungen, markierend. [. . . ] dieses riesenhafte, so kunstreich gezimmerte Finale in dem Mahler mit seinem eigenartigen Stil am kühnsten innerhalb der klassischen Form schaltet, [. . . ] Gewiß, die Energie, die jeden Takt durchdringt, ist unerhört, der Strom stockt keinen Augenblick. Es ist alles Denkbare vorgesehen, um die Masse zu gliedern und die Gliederung deutlich zu machen. Eine echt symphonische Einleitung exponiert die Themen mittelst Vorausnahme einzelner Teile; dann werden diese Themen selbst scharf beleuchtet hingestellt. Die zwei Durchführungen sind deutlich abgehoben, alles ist da, Reprise und Coda. Unser Interesse wird beständig wachzuhalten gesucht, dafür sorgen die dramatischen Entwicklungen, die Tragödie ist in den stärksten Farben inszeniert. Und doch – oder gerade darum – empfinden wir ein zuviel in diesem Satze, und ein schmerzhaftes Zuviel. Welcher Reiz, welche Größe, welche Ausdruckskraft müßte schon den Themen eines solchen Satzes eigen sein! [. . . ] Doch das wesentlichste: Die Häufung, kein Vorzug von Mahlers Stil, ist in diesem Finale zum äußersten Grade gediehen, Häufung im Ausdruck ebenso wie in der Instrumentation, in der thematischen und kontrapunktischen Arbeit. [. . . ] In diesem Kampfe, in diesem bellum contrapuncticum omnium contra omnes, gibt es schließlich nur Besiegte. [. . . ] Katastrophen können sich gewiß nicht in den Flöten abspielen; aber so beharrliche Mitwirkung des Blechkorps an Schmerz und Verzweiflung wirkt selbst katastrophal. [W07/H]

den Hammerschlag, mit dem er uns im Finale auf den Kopf treffen will. [. . . ] dieser letzte Kapitalstreich [. . . ] der brutale Knalleffekt [. . . ] Wenn der Orchesterpoet in unendlich fein differenzierten Klangverbindungen das Unerhörte zu versinnlichen trachtet, erniedrigt er sich nicht zum prosaischen Lärmmacher, der den gemessenen, bestimmten Ton, diese ewige Grundlage der Musik, für das willkürliche, regellose Geräusch eintauscht, um in der Schallmasse von kleiner und großer Trommel, Becken, Tamburin, Triangel, Tamtam, Holzklapper, Rute, Hammer, Kirchen- und Heerdenglocken zu schwelgen! Anleihen bei primitiven Werkzeugen barbarischer Natur- und Volksmusik sind kaum dem ordinären Theaterpraktikus erlaubt, geschweige denn einem auf feinere und tiefere Wirkungen ausgehenden Symphoniker. Das Unglück ist, daß Mahler, der das wüste Zeug im Finale seiner sechsten Symphonie braucht, es dort auch wirklich nötig hat, um die akustischen Gewaltmaßregeln des ersten Satzes auf das grausamste zu überbieten. Wer gleich mit vier Flöten, Oboen, Klarinetten, Baßklarinetten, drei Fagotten, Kontrafagott, acht Hörnern, vier Trompeten, drei Posaunen und Baßtuba nebst türkischer Musik, Xylophon, Glockenspiel, Herdenglocken, Harfen und doppelt besetzter Celesta anrückt, müßte schließlich Knallbüchsen schweren Kalibers oder noch besser Bomben und Kanonen auffahren lassen, wenn er konsequent sein will. Gong und Hammer sind um kein Haar edlere Instrumente, und ihr Getöse bleibt hinter tüchtigen Kanonenschlägen doch zurück, ohne mehr zur Erhöhung der tragischen Würde beizutragen. [. . . ]

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