- 329 -Hanheide, Stefan: Mahlers Visionen vom Untergang 
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Dazu herrscht, insbesondere in den beiden Ecksätzen, eine merkwürdige Monotonie der Rhythmik, die, so straff sie anfangs einsetzt, auf die Dauer recht hölzern und steifbeinig einherschreitet. [M06/C]

wenn der Tonsetzer kraftvoll und grossartig werden will, wird er roh und brutal. Solche Stellen läßt man sich als Folge einer natürlichen Urwüchsigkeit der Thematik wohl gefallen, aber in unserem Falle wirken sie eher abstossend. [M06/E]

Aber nun der Schlußsatz, der mit einer anspruchsvollen Einleitung ausgerüstet ist und danach doch durchweg in den Gebieten bombastischer Leere bleibt, wären nicht die stark Brucknerschen Elemente darin [im Schlußsatz]: Oktav-Motive in den Posaunen, Ansätze zum Choral, der mit einer Art Fugato kämpft. [M06/H]

den beiden ohnehin so provocierenden Stellen des Finale, an denen der Holzhammer niedersaust [W07/A]

Den echten Mahler spürt man aus den beiden großen Ecksätzen. Man kann eine Menge Einwände gegen sie erheben, kann sie sogar ablehnen und verwerfen: aber sie enthalten doch einzig das, was die Symphonie liebenswert erscheinen ließe, nämlich ein Stück Mahlerscher Persönlichkeit. [. . . ] Der Musiker Mahler [. . . ] spricht aus dem Ungeheuer des letzten Satzes, mit seiner kunstvollen Unbegreiflichkeit. Ein furchtbares Nebeneinander und Uebereinander wird hier aufgetürmt und mit einem Schlage wieder zertrümmert. [. . . ] Ehrlich gesprochen ist mit dem letzten Hammerschlag auch alles vorüber. Für den Hörer ist kein Cyklopenbau zusammengebrochen, hier ist ein Luftschloß eingestürzt. [W07/B]

Geradezu als ein Monument für die präpotente Schwäche der Dekadenz stellt sich das Finale dar. Hier nimmt Mahler noch eine weitere Verstärkung des Orchesters in Anspruch. Noch zwei Trompeten, eine Baßposaune, Hammer Holzklapper, Tamtam und die berüchtigte Rute treten zu den bisher verwendeten Instrumenten, um den nötigen Lärm für die Verkündigung der banalen Phrasen – aus denen sich der Satz aufbaut – zu liefern. Eigentlich kann man von gar keinem Aufbau sprechen, sondern von einer ununterbrochenen musikalischen Demolierung, denn die Motive werden nicht thematisch entwickelt, nicht ineinandergefügt zu einem ganzen, sondern in einem wüsten Chaos von den einzelnen Instrumenten und Instrumentalgruppen zerrissen und gegeneinandergeschleudert. Bei ihrer innerlichen phrasenhaften Hohlheit würde das aber nicht für den nötigen kakophonischen Lärm ausreichen, mit denen das moderne Genie seine Größe beweisen will, und deshalb muß durch ein Chaos von quiekenden, ächzenden und schreienden Füllstimmen die Uebersicht über das endlose theatralische Orchestergetriebe erschwert werden. Und wenn eine Schallsteigerung nicht mehr möglich erscheint, wird noch der symbolische Verwandlungsdreiklang in den Wirbel hineingeschleudert und mit dem Hammer dreingeschlagen und dieses Spiel wird mit einer kurzen Rückkehr zu den frivolen Marschrhythmen solange fortgesetzt und wiederholt, bis das Ohr – vernichtet nachgibt vor der rohen Gewalt des Schalles. Nicht weniger als hundert und achtzehn Seiten der Partitur umfaßt diese Orgie der leeren Phrase, des frivolen Größenwahnes und der Kunstlüge. [W07/C]

Das Finale (es beansprucht 118 Partiturseiten) ist der bei weitem umfangreichste und gewalttätigste Teil der Symphonie. [. . . ] Bei den ungeheuerlichen Massen des Baues, bei der breit ausladenden Anlage und dem unerhörten Aufgebot aller Mittel raffinierter Thematik und hyperraffinierten Klanges ist ein einheitlicher Eindruck, ein freier Überblick vorerst nicht zu gewinnen. Aus der gebotenen Reserve vermeine ich jedoch nicht herauszutreten, wenn ich beispielsweise vermerke, daß G. Mahler in diesem Finale an kakophoner Inspiration und bizarren Manifestationen sich selbst noch übertroffen hat. Gleich ohrenmörderisch hat der geniale Klangwüterich bisher noch nie gewaltet [. . . ] Im Eifer, alles zu erschöpfen und alles zu sagen, verfehlt er das ästhetisch zulässige Maß und verrennt sich über jedes vernünftige Ziel hinaus in die Leere, in das Nichts. [. . . ] Schon die Einleitung des Finales mit ihren jähen Gedankensprüngen und klanglichen Ueberrumpelungen hat das Vollmaß eines ausgewachsenen Satzes. Erst nach langen phantastischen Reflexionen in bunt wechselnden Klangfarben setzt endlich der führende Gedanke des Schlußsatzes (Allegro moderato) ein, wieder eine unscheinbare, schlichte Marschweise. Mahler liebt es, die Themen, mit welchen er ganz besonderes im Schilde führt, aus dem Born der Urmelodie zu schöpfen. Hier weiß er das gefügigste Material für die tönende Architektonik zu finden, und wie er seine primitiven Bausteine schichtet und zusammenpaßt und auftürmt, darin äußert sich die echte Beethovenkunst. So baut sich der Satz babylonisch auf bis zur Grundsteinlegung, die unter einem dröhnenden Hammerschlag erfolgt. Doch noch ist kein Ende – der Herrscher von Babylon

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